… und die ruandische Art der Verhandlungsführung verwirrte
18.05.2016
Wenn du diesen Blogeintrag liest, sind Carla und ich schon seit wenigen Tagen wieder in
Deutschland und eine Delegation mit Jakob, Jan, Nick und Philipp ist schon nach Sierra Leone
geflogen. Dennoch möchte ich noch ein paar Dinge über die zweite Hälfte meiner Zeit in Ruanda
mit euch teilen.
Nach Alex’ Abreise blieb uns noch eine gute Woche um weiter Kooperativen für Imago zu treffen,
beim Mukarange District vorbeizuschauen und nach Kiruhura zu fahren.
Der Mukarange District liegt im Norden Ruandas und das Verwaltungsgebäude, welches vielleicht
vergleichbar mit einem unserer Landtage ist, befindet sich ca. 2 Stunden Autofahrt von Kigali
entfernt. Bisher hatte ich nur die pulsierende Stadt mit all ihren verrückten Motos und recht lauten
Straßen gesehen, sodass es mich überraschte bereits außerhalb der Metropole grüne Felder auf
diversen Hügeln zu sehen. Es war als seien wir binnen weniger Minuten in ein anderes Land
gereist, obwohl wir natürlich immer noch in Ruanda waren. Kein Wunder, dass es den Beinamen
„Land der 1000 Hügel“ trägt. Es hat ihn wirklich verdient. Die gut asphaltierte Straße schlängelte
sich vorbei an saftig grünen Tälern sowie Tee- und Zuckerrohrplantagen. Allein der einsetzende
Regen lenkte uns von der phänomenalen Aussicht ab, weil er uns nötigte die Frontscheibe in
regelmäßigen Abständen von innen zu wischen. Emmanuels Auto besaß trotz Ledersitzen und
Luxusausstattung keine funktionierende Frontscheibenbelüftung. Doch das Auto will er bald
verkaufen. Er hat festgestellt, dass sich Gewinn daraus schlagen lässt, ein Auto etwas teurer zu
verkaufen, als man es selbst eingekauft hat.
Von diesem wirtschaftlichen Geschick ließ sich in Kiruhura hingegen nur träumen. Doch dazu
später mehr.
Unser Treffen zur Besprechung des weiteren Vorgehens bezüglich der schon gebauten
Krankenstation und des noch in Planung stehenden zweiten Gebäudes verlief verhältnismäßig
unspektakulär: Wir saßen in einem Büro gefüllt mit einem überdimensional großen Schreibtisch
sowie einer großen Ledergarnitur. Bevölkert von zwei weißen und zwei schwarzen Frauen und
Emmanuel natürlich mitten drin. Nach einer höflichen Begrüßung in Englisch und Carlas Vortrag
unseres Anliegens wechselte die ganze Diskussion ins Kinarwandische. Emmanuel schien in sich
ruhend und dennoch wild gestikulierend zu erklären, warum denn der Health Post gerade in
Kiruhura und nicht in einem anderen Dorf erweitert werden müsse. Leider beschränkte sich unser
Verständnis dieser Unterhaltung auf die Körpersprache der drei Offiziellen. Schließlich wechselten
sie wieder ins Englische und verkündeten, dass die Sache geklärt sein und wir selbstverständlich
eine Zahnklinik und oder eine Augenklinik in Kiruhura bauen könnten. Zufrieden und meinerseits
doch ein wenig verwirrt, verließen wir das kühle Gebäude und fuhren für ein paar Bruschet
(Fleischspieße aus Muskelfleisch oder Hoden) und Kartoffeln zu einem Imbiss. Schon spannend,
wie dieses doch sehr offizielle Gespräch verlaufen war. Ganz klar, in Deutschland werden Dinge
irgendwie komplizierter gemacht. Zum Glück schien Carla aber doch auch noch die deutsche (ist
es wirklich „deutsch“ Dinge auf Papier festhalten zu wollen?) Denkart innezuhaben, sodass sie
noch vor dem Ende unseres Treffens um ein von allen unterschriebenes Protokoll gebeten hatte.
Denn das Gefühl, dass wir wirklich etwas beschlossen hatten, hatte ich noch nicht.
Wie dem auch sei, wir hatten ein erstes „Go!“, das uns dazu antrieb, weiteren Research zu
betreiben.
Am nächsten Tag regnete es. Ja, es regnete wirklich den ganzen Tag, und es schüttete nur so aus
Eimern, was umso weniger zum Trocknen unserer frisch gewaschenen Wäsche beitrug. Um zu
verstehen, was für ein Drama das ist, muss man wissen, dass Carla keine frischen Klamotten
mehr hatte und wir ca 2 Stunden damit verbracht hatten unsere Wäsche mit der Hand in einer sehr
großen gelben Schüssel zu waschen. Nicht nur schaffte es Carla dabei mit einer diebischen
Freude mich und alles um uns herum nass zu spritzen, sondern wirkte auch mein Waschmittel aus
Omas Zeiten nicht mehr so reinigend wie erhofft.
Regnet es hier, herrscht erst einmal Stillstand. So lange, bis es aufhört und man sich nicht mehr
wegen der eventuell nass werdenden Klamotten erkälten kann. Da es aber wirklich sehr lange
regnete und wir ohne Internet feststeckten, nutzten wir die Zeit um hochproduktiv auf unseren
Betten rumzulümmeln. Es mag vielleicht nicht so klingen, aber wir waren wirklich sehr produktiv
dabei! Es kamen uns nämlich Ideen zu neuen Projekten. Angefangen bei der recht abstrakten,
dass man die Wucht des Regens doch in irgend einer Art und Weise zu Strom verarbeiten können
müsste, bis hin zu der Idee Einrichtungen zu schaffen, die es Frauen ermöglichen zu erfahren wie
ihr eigener Körper funktioniert und wie sie bei einem regelmäßigen Zyklus zumindest auf natürliche
Weise verhüten könnten. Darüber hinaus träumten wir von einem weltweiten Permakulturprojekt
und ließen unseren Gedanken einfach freien Lauf.
Der nächste Tag ging dann allerdings wieder sehr handfest und wenig träumerisch voran. Wir
fuhren zu zwei verschiedenen Initiativen (Körbe und Textilien) um extra für Imago angefertigte
Beispielsarbeiten zu besprechen und abzuholen, und trafen uns anschließend für eine
Besprechung mit Emmanuel. Die folgenden Tage waren in erster Linie mit Treffen dieser Art
gefüllt. Lediglich der Sonntag mit seinem vierstündigen Gedenkgottesdienst an den Genozid und
unser Ausflug nach Kiruhura stellten eine Besonderheit dar.
Dieses mal als Fotoblog
17.05.2016Sierra Leone - Projektreisen sind wichtig um Projekte anzustoßen und bestehende Projekte weiter zu forcieren. So weit, so gut, für jeden einzelnen Teilnehmer der Delegation geht es aber auch um persönliche Momente und Eindrücke von Land und Leuten. Diesmal wollen wir euch mit einem Fotoblog so nah wie möglich daran teilhaben lassen. Viel Spaß und #staytuned
Und ein Abschied
29.04.2016
Hi! Ich bin Pia, 23 und bin seit knapp 3 Tagen in Kigali, Rwanda.
Zum ersten Mal ging es für mich vor ein paar Tagen nach Afrika.
Unglaublich, aber wahr: Es braucht es nur 14 Stunden und zwei Flugzeuge, um von
Deutschland nach Rwanda zu kommen. Nach einer Zwischenlandung am unglaublich süßen
Flughafen in Addis Abeba betrete ich zwei Stunden später zum ersten Mal rwandischen
Boden in Kigali. Es sind ca. 27°C, die Luft ist feucht und ich werde von zwei
strahlenden Gesichtern erwartet: Carla und Alex holen mich beide ab und geleiten
mich schnurstracks zu den “Motos”, mit denen wir uns auf den Weg zu unserem Gästehaus machen.
Was für ein Ankommen! Mit dem großen Rucksack auf dem Rücken und einem viel zu
großen Helm auf dem Kopf rasen wir an Hochhäusern und kleinen Häusern mit Wellblechdach vorbei.
Auf den Straßen herrscht leichtes Chaos, welches sich aus diversen
Motorrädern, Autos und Lastwagen zusammensetzt. Und obwohl ich die mahnenden
Worte meines Vaters bezüglich langer Kleidung und festen Schuhen
beim Motorrad fahren im Ohr habe, kommen wir trotz Sommerklamotten heile und ohne Sturz an.
Wir sind jetzt schon gespannt auf das Treffen mit Rose bezüglich IMAGO in den nächsten Tagen.
Ob Rose nun selber Körbe und Taschen produziert oder eine Gruppe von Frauen repräsentiert,
wissen wir selbst nicht genau. Sie erklärt es uns leider auch nicht, weil sie zum
vereinbarten Treffen nicht auftaucht. Da wir aber schon aufbruchsbereit waren,
fuhren wir dennoch ins Stadtzentrum und anschließend zum Gemeindezentrum der
Presbyteriene Church of Rwanda. Dort war vereinbart, Kunsthandwerk (Körbe, Taschen, Schmuck...)
von 16 verschiedenen Kooperativen anzusehen. Leider treffen wir auch von diesen
niemanden an, da vergessen worden war das Ganze zu organisieren.
Emmanuel, der die Planung übernehmen wollte, schafft es dann aber, dass wir noch
zwei der Frauen zu Hause besuchen konnten, um uns anzuschauen, wie und unter welchen Umständen sie arbeiten.
Zur ersten Frau gehen wir zu Fuß. Ihr Haus befindet sich in einer Siedlung direkt
hinter der Kirche. Die meisten Deutschen würden sich darunter vielleicht hübsche
Reihenhäuser mit Vorgarten und Garage vorstellen, die Realität hier sieht dagegen
anders aus: Sobald wir das Kirchengelände verlassen, haben wir staubig roten Lehmboden
unter den Füßen und sind umringt von Kindern und Frauen, die entweder vor Alex‘ Kamera
positionieren oder sich vor ihr scheuten. Ein kleiner Markt, bestehend aus
Wellblechhütten und zusammengeflickten Ständen auf denen Kohle, Gemüse oder Früchte verkauft wurden,
begegnet uns als nächstes. Viele der Frauen tragen ihre Waren auf dem Kopf und schauen uns ganz interessiert an.
Alphonsine, die Frau, die aus Perlen und kleinen Holzplättchen Taschen fertigt,
geht voran und führt uns über den unebenen Boden durch kleine Gassen zwischen
Lehmhäusern hindurch. Kinder und neugierige Blicke, gefolgt von
“Amakuru” oder einem “How are you?” begleiten uns.
Vor dem Lehmhaus, in dem sie wohnt, sitzen fünf Kinder, von denen eins ein
wirklich sehr knuffiges Baby ist, ich hab mich sofort verliebt.
In ihrem Haus werden dann alle Sitzgelegenheiten zusammengesucht,
sodass wir uns setzen können. Im ansonsten leeren Wohnzimmer ist es stockdunkel,
weil vor dem 30x30cm großen Fenster ein Vorhang hängt, den die Frau allerdings
schnell beiseite zieht. Obwohl nun ein wenig Licht in den Raum fällt, ist es
nach wie vor recht schummrig. Auf unsere Bitte, uns zu zeigen, wie sie arbeitet,
wirft sie eine Bastmatte auf den Boden und setzt sich breitbeinig, sodass ihr
hübsches grünes Kleid weit fällt. Dann nimmt sie die Perlen in die Hand und zeigt
uns, wie sie diese auf einen Nylonfaden auffädelt und verknotet.
Carla zeigt Interesse und hat unter Anleitung schnell selbst die Fäden und Perlen in den Händen.
Ein Weilchen verbleiben wir bei ihr, damit Alex fleißig Bilder machen kann,
und machen uns dann auf den Weg zu Josepha, einer weiteren Kunsthandwerkerin.
Während wir den Hügel durch die kleinen Gassen wieder hinaufgehen,
erzählt Emmanuel, dass Alphonsine ihn vor einiger Zeit nach Medikamenten zur
Schwangerschaftsverhütung (also der Antibabypille) gefragt hat und hakt nach,
ob wir so etwas besorgen können, weil die Familie ein weiteres Kind finanziell nicht tragen könnte.
Im Laufe des Gesprächs merkt Carla an, dass auch die Antibabypille für die
Frauen nicht bezahlbar ist und fragt, ob die Frauen hier überhaupt wissen,
wann sie besonders fruchtbar sind und wie ihr Zyklus funktioniert.
Laut Emmanuel ist das Wissen darüber sehr gering, obwohl er so genannte
“Familiy planning lessons” gibt. Bei uns kommt in diesem Kontext die Frage auf,
wie man die Frauen und auch Männer besser informieren könnte, sodass sie mehr
über ihren Körper erfahren und zumindest auf natürliche Verhütungsmethoden zurückgreifen können.
Obwohl dieser Tag um kurz nach 18:00 Uhr mit dem Einbruch der Dunkelheit zu Ende geht,
fahren wir noch zu Josepha, um dort bei Kerzenlicht handgemachte Körbchen
und handgeschnitzte Figuren anzugucken. Alex und seine Kamera sind zwar ziemlich
unzufrieden mit dem schlechten Licht, sie geben sich dann aber doch mit dem der Handytaschenlampen zufrieden
Nach getaner Begutachtung der potentiellen Produkte für Imago geht es wieder zurück nach Kigali City.
Dienstag ist Alex’ letzter Tag. Noch bevor wir uns einige weitere kunsthandwerkliche
Dinge ansehen wollen, sind seine Taschen gepackt. Zu seinem Unglück beginnt es
aber in Strömen zu regnen, nachdem wir die Produkte (inklusive eines Bademantels und Laptoptaschen)
bestaunt und fotografiert haben. Regen gilt hier als allgemein anerkannte
Entschuldigung, um gar nicht oder viel zu spät irgendwo aufzutauchen.
Alex hingegen freut es wenig, dass es direkt vor seinem Reiseantritt wieder
anfängt zu regnen und nicht den Anschein macht weniger zu werden, denn ohne Auto sitzen wir fest.
Zum Glück hat Emmanuel sein Auto noch nicht verkauft und kann uns zum Flughafen fahren.
Dort wird Alex’ Gepäck von einem recht zerzausten Spürhund auf Sprengstoff
untersucht und schließlich ohne anschlagendes Gebell zum Check-in gelassen.
Damit ist Alex wieder auf dem Weg nach Deutschland.
Carla und ich halten die Stellung in Ruanda und freuen uns auf viele weitere spannende Erlebnisse.
Hier wollen wir neue Projekte fördern.
19.04.2016Hallo zusammen, wir sitzen
gerade in Kigali - haben uns hier einen Platz gesucht, an dem wir eine
zuverlässige Internetverbindung haben und wollen euch davon berichten,
wie es uns in unseren ersten Tagen hier in Ruanda ergangen ist. Seit
knapp fünf Tagen sind wir als erste L'appel Delegation 2016 in Ruanda.
Los ging es in Mainz, wo Alex und ich uns getroffen haben, um von dort
aus ab Frankfurt über Addis Abbeba nach Kigali zu reisen.
Wer wir sind?
Ich bin Carla - Ruanda ist seit vielen Jahren und in vielen seiner
Facetten ein bekanntes Land für mich, ich genieße Land, Sprache und
Menschen. Als wir am Donnerstag vom Flughafen in unsere Unterkunft, das
Isano Gästehaus, gefahren sind, hatte ich den Eindruck nie weg gewesen
zu sein: die vertrauten Straßen und bekannten Gerüche mischten sich mit
einer gewissen Vorfreude und Aufregung auf die nächsten drei Wochen
hier.
Mit dabei ist Alex, den kennt ihr schon von der großen Sierra Leone
Delegation 2015. Der Journalist von koon arts ist uns als L'appel
verbunden geblieben und ist jetzt mit mir nach Ruanda gereist. Für ihn
ist es mal wieder ein neues Land mit spannenden Geschichten. Für uns
bedeutet das, mal wieder wunderschöne Aufnahmen in Bild und Ton zu
erhalten und das von einem Menschen, der es gewohnt ist, Fragen zu
stellen und so neue Perspektiven aufzuwerfen.
Nach etwa der Hälfte der Zeit wird Pia noch zu uns stoßen, aber von ihr
erfahrt ihr dann selbst mehr.
Diese Reise wird aller Voraussicht nach nicht die einzige sein, die wir
dieses Jahr nach Ruanda antreten, und dennoch, oder gerade deshalb, ist
es eine besondere.
Wie ihr wisst, wurde Ende letzten Jahres der Health Post in Kiruhura
eröffnet, unser erstes Projekt vor Ort also (zunächst) abgeschlossen.
Neue Projekte klopfen an die Türe und es gibt Kapazitäten, denen wir in
den nächsten drei Wochen ein Gesicht geben wollen: Eine Reise also, die
gezeichnet ist von Planungsarbeit und offenen Ohren und Augen um
Appelle zu sammeln.
Ein Projekt, das während der letzten Reise sein Gesicht bekommen hat
steht jetzt im Fokus: Die Imago
Manufaktur. Hier werden wir Kooperativen besuchen und
Gespräche führen.
Doch zurück ins Hier und Jetzt: 5 Tage sind wir schon im Land, wohnen
im Isano Gästehaus und teilen uns ein Zimmer mit Jad, einem Freund den
ich schon aus früheren Ruanda-Besuchen kenne.
Unserem Dreiergespann haftet übrigens die Beschreibung des
interreligiösen Trios an, schließlich sind wir streng genommen eine
Christin, ein Moslem und ein Jude, die hier gemeinsam durch das Land
ziehen. Etwas das Emmanuel, unser Projektmanager und langjähriger
Partner, nie zu erwähnen vergisst!
Nachdem wir bei der ersten Fahrt in die Innenstadt Alex fast in den
Straßen Kigalis verloren hatten, ist mittlerweile die Beschäftigung
“mit dem Moto durch die Stadt flitzten” elementarer Teil unserer Tage.
Den ersten Tag haben wir genutzt, um die notwendigen Gänge zu machen
und Alex mit der Stadt vertraut zu machen. So waren wir zum Beispiel im
Genozid Memorial in Kigali, wo ca. 250 000 der Menschen, die während
des Genozids 1994 umgekommen sind, beerdigt sind. Das Kigali Memorial
ist eine nationale Gedenk- und Trauerstätte und zugleich ein Museum,
dass auch für Ausländer die Hintergründe des Genozids und die
Entwicklung des Landes sehr eindrücklich und gut beschreibt.
Am Abend wurden wir von Emmanuel zu sich nach Hause eingeladen. Es war
ein wunderschönes, sehr persönliches Treffen und wir beide waren
(wieder) erfüllt von der ehrlichen Herzlichkeit und Freude, mit der wir
empfangen wurden.
Am Samstag standen dann schon einige Meetings und Verabredungen an.
Zunächst haben wir das Womens Center in Nyamirambo besucht, eine
Kooperative, die seit 2009 besteht und für die Frauen der Gegend
bezaubernde Textilprodukte herstellen und so für Gender Equality
kämpfen und ihren Lebensunterhalt sichern können. Nächste Woche werden
wir uns noch mit der Leiterin unterhalten – vielleicht eine Kooperation
für IMAGO?
Auch
bei dem Treffen mit Emmanuel am Abend ging es, neben der Planung der
nächsten Wochen, um mögliche Kooperationsmöglichkeiten mit IMAGO. Er
hat in den letzten Wochen in seiner Gemeinde eine Gruppe von Frauen
unterstützt, die sich selbst Nähen beigebracht und verschiedene
Taschenmodelle entworfen haben, die sie nun in einer Art Kooperative
produzieren und verkaufen wollen. Eine tolle Initiative, die wir gerne
durch IMAGO unterstützen wollen!
Nebenher füllt sich wie von selbst der Terminkalender für die nächsten
Wochen. Wie erhofft, kommen wir von einer Begegnung zur nächsten und
ich bin selbst noch gespannt, was wir alles erleben werden.
Heute und gestern jedenfalls besuchten wir bei die einzige Konstante
unserer Projektarbeit in Ruanda: das Dorf Kiruhura. Am Sonntag sind wir
um 6 Uhr morgens aufgebrochen um rechtzeitig zum Gottesdienst in Dorf
zu sein, ein Erlebnis, das durch seine Einzigartigkeit bestechend ist!
Wie das Schicksal es wollte, hat es natürlich genau in dem Moment, als
wir aus dem Bus ausgestiegen sind, um den Rest des Weges mit
Motorrädern zurückzulegen, angefangen aus allen Kübeln zu schütten.
Dennoch sind wir, zwar etwas vermatscht, aber doch sicher und fast
rechtzeitig, zum Gottesdienst angekommen.
In Kiruhura zu sein, ist immer etwas Besonderes. Das Dorf, in dem man
sein Handy eigentlich gleich ausgeschaltet lassen kann, weil es keinen
Strom (geschweige denn Netz) gibt, ist geprägt von Kinderlachen und dem
Muhen der Kühe, von vielen Menschen, die dich nach zehn Minuten alle
mit Namen kennen und dich voller Begeisterung und Freude umarmen und
dich selbstverständlich auf Kinyarwanda begrüßen und nach Hause
einladen. Und so haben wir diesen Sonntag Nachmittag damit verbracht
mit zwei Freunden durch die Hügel der Region zu wandern und uns von
deren Gedanken, Träumen und Sorgen erzählen zu lassen und dabei Appelle
zu sammeln.
Juvenal hat gerade seine Schule beendet und trotz guter Noten ist es
für ihn als Waise schwer einen Job oder weitere Ausbildung zu finden
bzw. zu finanzieren. Daher hat er sich entschlossen in Kiruhura eine
Art Café zu eröffnen, in der die Nurses des Health Posts und die Lehrer
der Schule Mittags etwas zu essen bekommen können. Ein Projekt, dass
ich im Sinne der Förderung für selbstständiges Unternehmertum gerne
unterstütze. Am Mittwoch soll's losgehen, das nächste Mal können wir
also schon einen Tee im Café Vision trinken!
Heute Morgen kamen Emmanuel und der Director des Health Centers Mulindi
nach Kiruhura und so konnten wir gemeinsam den Health Post besichtigen
und weitere Baumaßnahmen planen. Zu dem Zeitpunkt der Besichtigung
saßen 6 Menschen im Warteraum. Die meisten davon Frauen mit Kindern,
wobei nur eine davon des Kindes wegen da war, außerdem noch zwei
Schuljungen. Die gängigsten Krankheiten sind, neben Würmern und Grippe,
auch Pneumonie und Malaria.
Vor Ort arbeiten zwei Krankenschwestern: eine, die für die Rezeption,
sprich Patientenaufnahme bzw. Erstuntersuchung und das Labor zuständig
ist, und eine weitere, die für die Behandlung verantwortlich ist. Es
gibt drei Behandlungsräume. Der erste ist für reguläre Behandlungen bei
Infektionen. Ein weiterer dient für gynäkologische Untersuchungen und
im Notfall auch Geburten, falls es nicht mehr möglich ist die Frau nach
Mulindi zu überstellen. Der Dritte Raum ist für die Behandlung von
offenen Wunden.
Im weiteren Gespräch ging es neben der Besichtigung der Räumlichkeiten
auch um den aktuellen Bedarf und die Schwierigkeiten der Region.
Der Director des Health Centers Mulindi hat uns erzählt, dass es in der
ganzen Region keine Möglichkeit gibt Zahnbeschwerden zu behandeln. Die
Idee ist daher, dass wir unseren Health Post in Kiruhura mit einem
zweiten Gebäude in Form einer Zahnklinik ergänzen und damit eine
Schlüsselrolle der gesundheitlichen Versorgung der Region innehaben.
Dieses werde ich im Laufe der nächsten Woche mit der regionalen
Regierung in Byumba besprechen.
Ihr dürft euch also darauf gefasst machen, dass wir in diesem Jahr doch
wieder von Kiruhura hören! :)
Ein facettenreicher Tag
31.03.2016Der heutige Morgen begann
mit einer Menge Textarbeit.
Während Nick für ein anstehendes Treffen einen Entwurf des umgekehrten
Generationenvertrages
überarbeitete, wertete Hanna fleißig große Mengen Patientenbögen aus,
um uns bezüglich der
dringendsten Gesundheitsprobleme auf den neusten Stand zu bringen.
Dabei stach uns vor allem das so genannte "under-5-project" ins Auge.
Theoretisch steht jedem Kind bis zum fünften Lebensjahr in Sierra Leone
kostenlose primäre
Gesundheitsversorgung zu. Leider ist "unser" Krankenhaus eines von sehr
wenigen im Land, dem es
gelingt dieser Aufgabe gerecht zu werden. Korruption und
Ressourcenknappheit machen
medizinische Versorgung für weite Teile der Bevölkerung
unerschwinglich, sodass Sierra Leone nach
Angola und der Zentralafrikanischen Republik im Jahr 2015 den traurigen
Platz drei der höchsten
Kindersterblichkeit belegte.
Beim Brüten über Krankenakten, in denen oft von vermeidbaren
Krankheiten wie Cholera,
Tuberkulose, Masern, Lassafieber und immer wieder Malaria zu lesen ist,
wurde uns wieder einmal
klar, dass Ebola lediglich ein Symptom - nicht die Ursache - der
katastrophalen Gesundheitssituation
in Sierra Leone darstellt.
Zusammen mit den Ärzten und einigen anderen führenden
Personalmitgliedern besprachen wir im
Anschluss, was im Rahmen unserer Möglichkeiten machbar ist, um das
Magbenteh Community
Hospital möglichst effektiv und nachhaltig weiter zu unterstützen.
Einige Apelle, neben der
finanziellen Unterstützung des "under-5-projects", sind relativ banale
Beschaffungen wie
Blutzuckermessgeräte, ein Beamer für medizinische Fortbildungen und ein
EEG-Gerät zur Diagnose
von Epilepsien, die hier gerne als Fluch interpretiert werden.
Am Nachmittag trafen wir uns mit Clara, der Architektin des
Schulprojektes.
Sie präsentierte uns die finalen Pläne der Gebäude und erläuterte uns
Details der besonderen
Bauweise, für die wir uns in Einklang mit den Menschen der Magbenteh
Community entschieden
haben. Statt mit Zement wird landesüblich mit "mudbricks" (Tonziegeln)
und lokalen Materialien wie
Bambus gebaut, ähnlich unserer Krankenstation in Ruanda. Lediglich die
Fundamente werden aus
Beton sein. Dieser Baustil bietet klimatische Vorteile und wird auch
der Akzeptanz des Gebäudes als
"community based project" zuträglich sein.
Wie relevant diese Akzeptanz ist, haben wir schon an ersten
Schwierigkeiten bei der Präparation des
Geländers festgestellt. Eigentlich war mit den Arbeitern vereinbart,
dass alle Bäume, die dem
Gebäude nicht unmittelbar im Wege stehen, auf keinen Fall gerodet
werden.
Doch
es bewahrheitete
sich eine der wertvollen Weisheiten, die unser Freund Adam uns mit auf
den Weg gegeben hat: "If
the people are not 100% convinced of what you are doing, they won't
attack you - they will make
sure your work doesn't succeed". So haben die lokalen Arbeiter, trotz
ihres gegenteiligen Auftrags
und der stundenlangen Sitzungen, in denen wir Details besprochen
hatten, jedes Bisschen Grün auf
unserem Gelände entfernt.
Auf die Frage hin, weshalb sie das getan hätten, wiesen sie zögernd auf
ein Waldstück neben unserem Schulgelände hin, von dem sie fürchteten,
dass es Teil des
Schulgeländes werden könnte. Erst nach wiederholten Beteuerungen
unserer Partnerorganisation,
dass wir keinen Anspruch auf das gezeigte Stück erheben und es auch
sehr in unserem Interesse
liegt, dass dieses wunderschöne Stück Primärvegetation mit seinen
erhabenen Mahagonibäumen
erhalten bleibt, entschuldigten sie sich für die radikale Rodung und
folgten beim Ebnen der
Zufahrtsstraße den Anweisungen der Architektin aufs Wort.
Erst unser abendlicher Besuch bei Adam, bei dem auch Architektin Clara
und einige Sierra-Leonische
Freunde aus der Community anwesend waren, begannen wir zu verstehen,
was es mit dem
Waldstück auf sich hat und warum sich die Arbeiter in dessen Nähe
initial so merkwürdig verhalten
hatten.
Wir erfuhren hinter vorgehaltener Hand, dass das Waldstück eine
wichtige Heiligstätte der "secret
society", des Geheimbundes von Magbenteh ist. Von diesen Geheimbünden
gibt es in Sierra Leone
hunderte. Praktisch jeder gehört mehr oder weniger aktiv einem davon an
und es ist schwer deren
Strukturen und Riten zu verstehen, denn wie der Name sagt, agieren sie
geheim. Einzig ein junger
Mann, ein guter Freund von Adam, war bereit uns Auskunft über den
intensiv gepflegten Voodookult
und seine Organisation zu geben.
Er erklärte uns viele Hintergründe und weihte uns in einige Geheimnisse
der lokalen Temne-Kultur
ein. Zum Beispiel zeigte er uns auch seinen Oberkörper, den er
üblicherweise sorgsam bedeckt hält,
der über und über mit Mustern aus kleinen Narben bedeckt war. Auch ihm
wurden in einem
feierlichen Ritual als besondere Ehrung diese Narben mit Kobrazähnen
beigebracht, um ihn gegen
den Biss der giftigen Schlange zu immunisieren. Weiter erzählte er uns,
dass die "secret societies" als
solche organisiert sein müssen, weil die Sierra Leonies gewohnt sind
ihre Kultur gegenüber Fremden
verstecken zu müssen. Sowohl den christlichen als auch den muslimischen
Missionaren waren und
sind ihre Praktiken und die nach wie vor sehr stark verbreitete
Anbetung von Geistern nämlich ein
Dorn im Auge.
Gegenstand des Treffens mit dieser bunten Runde war auch noch einmal,
die knifflige Aufgabe des
Auswahlprozesses für die Kinder unseres Schulprogramms und der
Stipendiaten zu erörtern.
Vetternwirtschaft und das "Krebsgeschwür" der Korruption stellen
hierbei die größten
Herausforderungen dar.
Die Begegnungen und Erkenntnisse des heutigen Tages sind von
unschätzbarem Wert für unsere
Arbeit und helfen uns sehr, die Kultur unserer Freunde noch besser zu
verstehen.
Erfüllt von neuen Eindrücken und mit dem Gefühl, gerade Einblick in
eine Welt erhalten zu haben, die
uns trotz unserer langen Aufenthalte in der Vergangenheit bisher
weitgehend verborgen geblieben
war, ließen wir den Tag gemeinsam mit unseren Sierra-Leonischen
Freunden, Clara, Adam und
seinem Affen "Chipo" bei einer landestypisch zubereiteten Ziege
ausklingen.
Ein sehr wertvolles Treffen
30.03.2016Zum Glück erwachten wir
morgens früh um sechs erfolgreich ausgeruht und gut gelaunt nach
unserer
Nacht am Strand, denn der heutige Tag begann genauso ärgerlich wie der
letzte begonnen hatte.
Nachdem wir uns einige Stunden lang auf der einzigen passierbaren,
chronisch verstopften Straße ins
Zentrum der Hauptstadt gequält hatten und das vermeintliche Büro der
Airline gefunden hatten,
wurde uns eröffnet, dass das Büro umgezogen und jetzt an einem völlig
anderen Ort zu finden sei.
Nach einigem Suchen fanden wir auch diesen, doch auch dort war Hannas
verlorene Tasche nicht.
Die nämlich werde an einem - 24h geöffneten - Schalter in unmittelbarer
Nähe des Flughafens - an
dem wir am Vortag vorbeigefahren waren - aufbewahrt. Das bewahrheitete
sich. Die obligatorische
Diskussion um "small money" (Schmiergeldzahlungen) war relativ schnell
erledigt, als sich
herausstellte, dass die Dame an jenem Schalter dieselbe war, die Hanna
ursprünglich die
Fehlinformation gegeben hatte für ihr Gepäck ins Stadtzentrum fahren zu
müssen. War wohl ihr
erster Tag…
Nach
dieser unfreiwilligen Stadtrundfahrt durch das Moloch Freetown fuhren
wir mit einer Sorge
weniger aber dafür mit Hannas Koffer im Gepäck vorbei an den letzten
noch bestehenden,
imposanten Urwaldbeständen der Küstenregion zu Adam.
Adam ist eine Person, deren Beschreibung einen kleinen Abschnitt wert
ist:
Als bester Absolvent seines Jahrgangs an der Columbia University
entschied sich der aus Boston
stammende Adam mit nur 25 Jahren dazu, anstatt Lehman Brothers und
Apple zu vertreten, nach
Sierra Leone auszuwandern und hier die Universität von Makeni mit
aufzubauen. Sein Hobby ist es,
ausbeuterische Großunternehmen juristisch zu Fall zu bringen und vielen
wohltätigen Organisationen
gibt er unentgeltlich und unglaublich erfolgreich Rechtsbeistand. So
auch unserer
Partnerorganisation SSLDF und uns.
Verabredet haben wir uns mit ihm, um die neuste Version des Umgekehrten
Generationenvertrages
auf eine im Land passable Form zu bringen und verschiedene Optionen
seiner Implementierung an
der Universität von Makeni zu diskutieren. Die Informationen, die uns
das Universalgenie im Laufe
des Abends und des größten Teils der Nacht gab, überstiegen jedoch bei
weitem unsere Hoffnungen.
Aus seinem enzyklopädischen Wissen und den Erfahrungen, die er
innerhalb seiner fünf Jahre hier
gesammelt hat, erarbeitete er mit uns einen Katalog von "Do's" und
"Don'ts" in Bezug auf die
Zusammenarbeit mit der durch und durch korrupten Regierung sowie den
hier ansässigen
Dorfgemeinschaften, deren Strukturen wenige so gut verstehen wie er. An
einigen eindrücklichen
Beispielen illustrierte er beispielsweise die stets unterschätzte,
kulturelle Bedeutung des Voodoo
indem er seinen Gärtner bat sein T-Shirt aus zu ziehen. Sein Körper war
über und über mit
Narbenmustern übersäht. Diese werden Mitgliedern so genannter "secret
societies“ beigebracht,
indem in bestimmten Ritualen des Voodookults kleine Mengen
Schlangengift in die Haut eingebracht
werden. Das soll Unbesiegbarkeit und vor allem Immunität gegen das Gift
der Kobra bringen.
Tatsächlich hat Abu nachweislich schon zwei Bisse der Königskobra
überlebt. Des Weiteren ging es
um Probleme wie die sehr weit verbreitete Beschneidung von Mädchen,
Zwangsheirat, die Situation
von Waisenkindern und vor allem natürlich darum, wie L'appel mit
maximaler Wirksamkeit und
nachhaltig die eklatante Armut in der Region bekämpfen kann.
Im Bezug auf die Arbeit mit der Regierung, etwa im Rahmen des gerade
entstehenden Boarding-
schol-Projekts, brachte unser Freund seine Ratschläge auf einfache,
aber für uns sehr wertvolle und
nachvollziehbare Formeln wie: "Give the cow but keep the rope" oder
"The more you get annoyed,
the slower the person you are troubling will work here"
Da Adam im Begriff ist das Land zu verlassen, um zugunsten eines
Angebots der UN als leitender
Jurist die erste Universität des Südsudans aufzubauen, lud er uns
direkt nach dem 7-stündigen
Meeting ein, uns vor unserer Abreise noch einmal mit ihm zusammen zu
setzen. So verabredeten wir
uns gleich für den nächsten Abend noch einmal. Offenkundig glaubt er an
uns und unsere Arbeit.
Nachdem er uns noch eine Liste mit allen wichtigen Kontakten überreicht
hatte, bat er uns an bei
ihm zu übernachten. In Anbetracht der Agenda des kommenden Tages
schlugen wir sein Angebot
dankend aus. Daraufhin bat er einen seiner Studenten, der mangels
elektrischem Licht zu Hause die
kühleren Nachtstunden nutzte, um sich in Adams Haus auf seine Examina
vor zu bereiten, uns mit
seinem Motorrad nach Hause zu fahren. Zu dritt auf dem kleinen Motorrad
fuhren wir durch die
frühen Morgenstunden durch das nachts sehr trostlos wirkende Makeni in
unser Krankenhaus und
fielen todmüde, aber voller Motivation, in unsere Betten.
und die Jagd nach Hannas Gepäck
29.03.2016Nach der Fixierung einiger
Treffen in den kommenden Tagen, fanden wir uns zur morgendlichen
Runde des Krankenhauspersonals ein, in der die Nachtschwestern und
-pfleger ihren KollegInnen und
den Ärzten die Patienten der Nacht „übergeben“, von besonderen
Vorkommnissen berichten und
das weitere Prozedere diskutieren. Überschwänglich wurden wir begrüßt
und man ließ es sich nicht
nehmen, die Sitzung schmerzhaft in die Länge zu ziehen um noch einmal
detailliert die ganze
Geschichte von vorne bis hinten zu erzählen, wie unsere gemeinsame
Arbeit im Zenit der
Ebolaepidemie zusammen mit vielen der Anwesenden begann und wie
vielversprechend sie sich
entwickelt.
Im Anschluss nahmen wir an einer hochspannenden Visite teil, bis uns um
Punkt 12 ein Fahrzeug der
SSLDF
abholte,
das Erich zum Flughafen und uns zu Hannas vermisster Tasche bringen
sollte. Ersteres
gelang, letzteres nicht, da anders als uns mitgeteilt wurde, verspätete
Gepäckstücke nicht am
Flughafen sondern im Büro der Airline im Stadtzentrum gelagert werden.
Das noch zu Öffnungszeiten
zu erreichen war utopisch. Daher entschieden wir uns entnervt dazu, uns
mit einer Nacht an einem
der wundervollen Strände an Sierra Leones touristisch völlig
unerschlossener Atlantikküste zu
entschädigen, um früh morgens die Odyssee der verlorenen Tasche und
unsere Arbeit fortzusetzen.
Zwei alte Hasen
28.03.2016
Nick begann den Ostermontag mit einem Lauf auf den Berg hinter der
Klinik, von wo aus man einen atemberaubenden Blick über die Magbenteh
Community hat,
während Hanna mit einem pensionierten italienischen Chirugen
frühstückte, der für einige Monate am MCH zu Gast ist um zu
praktizieren. Durch seine
schonungslosen Erzählungen von haarsträubenden Verfehlungen in der
Pflege des Krankenhauses wurde uns noch einmal deutlich, wie essentiell
wichtig unsere
Weiterbildugsmaßnahmen im Rahmen des Capacity buildings sind. Ein
nächster, sinnvoller Schritt unserem Partner zu helfen, könnte die
Vermittlung einer
umfassenden Optimierung der am Krankenhaus stattfindenden Prozesse sein.
Nach einigen Telefonaten bezüglich Hannas immer noch fehlendem Koffer
und Planung der kommenden Tage machten wir uns auf den Weg zu Harald
Pfeiffer, dem
freundlichen altern Herrn, der aus seinem tiefen, christlichen Glauben
heraus die SSLDF und das MCH gegründet hat, ihr als Präsident vorsteht
und in einem
kleinen Haus hinter der Klinik wohnt. Besonders freuten wir uns auch
mehr von Erich zu erfahren, der als Elektroingenieur und Fundraiser
schon in 21
afrikanischen Ländern tätig war und das MCH seit seiner Eröffnung mit
betreut. Unterwegs passte uns der exilkubanische Chirurg Adolpho ab,
der gerade auf
dem Weg zu einem Notruf in den OP war und uns bat mitzukommen um ihm
falls notwendig zu assistieren. Letztlich war unsere Hilfe zwar nicht
notwendig, doch
der Zustand des Patienten, den Adolpho wegen einer angeblichen Blutung
versorgen sollte, bestätigte was wir zuvor von seinem italienischen
Kollegen gehört
hatten.
Den restlichen Ostermontag verbrachten wir bei Harald und Erich, einem
weiteren Vertreter und Hauptsponsor der SSLDF, der ihn gerade besuchte.
Dieses Treffen war nicht nur projektplanerisch hochinteressant, sondern
gewährte uns auch unschätzbar wertvolle Einblicke in die Struktur und
Arbeitsweise
unseres Partners, der Magbenteh Community und einzelner Protagonisten
mit denen wir zu tun haben.
Wir hörten die unglaubliche Geschichte des Krankenhauses und von
Geschehnissen rund um die Kultur der in Sierra Leone lebenden Stämme,
die sich unserer
Vorstellungskraft weitgehend entziehen. So gibt es beispielsweise einen
„Section Chief“, das traditionelle Oberhaupt der Magbenteh Community,
der in Ansehen
und Einfluss weit über den Vertretern, des Staates, der Kirchen und des
Islams steht. Mit ihm sind alle Entscheidungen abzuklären, hinter denen
die
Gemeinden stehen sollen und man es nicht mit „black magic“ zu tun
bekommen will. Er ist es auch, der das Gelände ausgesucht hat, auf dem
das Schulgelände
stehen wird. Entsprechend sind wir ihm schon des Öfteren begegnet.
Jetzt wo er ca. 70 Jahre alt ist, steht ihm ein aus unserer Sicht
besonders skurriles
Ritual bevor. In einem unbewohnten Tal einige Kilometer entfernt von
uns treffen sich alle Voodoopriester und Vertreter der so genannten
„secret sociecies“
der Region um ihn in einem feierlichen Ritual zu enthaupten und seinen
Leichnam gemeinsam mit dem Kopf seines Vorgängers in einer dreitägigen
und im
Geheimen abgehaltenen Zeremonie zu bestatten.
Drei Tage lang darf dann nicht über den Toten gesprochen werden - bis
sein Nachfolger eingeweiht ist.
Anhand dieses und vieler weiterer Beispiele wurde uns ein weiteres Mal
vor Augen geführt, wie sehr sich diese Welt in ihrer vielseitigen und
reichen Kultur
doch von der unterscheidet, die uns vertraut ist.
Wir sprachen auch viel über die besorgniserregende politische Situation
im Land, dessen Bevölkerung sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt
hat und dessen
durchschnittliches Alter bei weit unter 20 Jahren liegt. Besonders für
ungebildete, junge Männer ist die Situation verheerend, da es für sie
weder Arbeit
noch Perspektive gibt. In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft
verlassen sie ihre Dörfer und kommen zu tausenden in die Städte um ihr
Glück zu machen.
Manche schaffen es, sich als Motorradtaxifahrer oder Tagelöhner einen
Lebensunterhalt zu verdienen. Viele landen aber auch in den Minen, oder
auf den
Feldern multinationaler Zuckerrohr- und Palmölproduzenten, wo sie für
harte Arbeit zu schlecht entlohnt werden um sich davon eine Existenz
aufbauen zu
können. Doch seit drei der fünf größten Minenunternehmen in Folge der
Ebolakrise das Land verlassen haben und auch die Bioethanolindustrie,
die in Makeni
der größte Arbeitgeber war, vollkommen eingebrochen ist, ist selbst
diese Option Geschichte.
Die Regierungspartei schlug aus der Krise nicht nur durch zusätzliche
Entwicklungshilfegelder finanziell großen Profit, sondern nutzte den
„state of
emergency“ in dem sich das Land monatelang befand auch dazu, um ihre
Macht zu festigen um zunehmend totalitär und dabei leider wohl auch
zunehmend korrupt
zu regieren. Beispielsweise war die Brücke, die zu unserem Schulgelände
führt ursprünglich blau. Da blau aber die Farbe der Oppositionspartei
ist, wurde
durch den Minister des Distrikts ein sofortiges Umstreichen in rot –
der Farbe der Regierungspartei erwirkt. Ähnlich wurde mit dem Dach der
gerade im Bau
befindlichen neuen Gynäkologie verfahren.
Noch einmal wurde uns nahe gelegt, dringend nach Gynäkologen und
Pädiatern Ausschau zu halten, die bereit wären für einige Zeit am MCH
zu wirken. Derzeit
sind beide Fachdisziplinen in Händen von mäßig ausgebildeten
Krankenschwestern und die Rate an vermeidbaren Todesfällen ist hoch.
Erfreulich allerdings ist, dass dank dem motorradfahrenden und stets
gut gelaunten Adolpho zumindest die Chirurgie jetzt permanent besetzt
ist und rund um
die Uhr Kaiserschnitte durchgeführt werden können.
Für den nächsten Tag verabredeten wir uns mit Erich und Gabboh, einem
der Fahrer der SSLDF, um gemeinsam in die Hauptstadt zu fahren. Erichs
vierwöchiger
Aufenthalt war zu Ende und wir hatten Nachricht bekommen, dass Hannas
Tasche nun endlich angekommen sei und zur Abholung bereit stehe…
One hand doesn't clap
27.03.2016Über Ostern ging es
gemütlich zu am Magbenteh Community Hospital. Da gerade Trockenzeit ist
und
weniger Moskitos unterwegs sind leiden entsprechend weniger Menschen an
Malaria. So haben wir
die Klinik bei unserm Rundgang erstmals nicht ausgelastet erlebt. Die
entspannten Ostertage
eigneten sich also gut für unseren Plan Hanna bei allen, die sie noch
nicht kennen, bekannt zu
machen.
Als
erstes nahmen wir uns Krankenhausmanager Ibrahim Bangura vor, der
neuerdings die beiden
Stipendiatenprojekte (Capacity building + Patenprojekt)
betreut und selber zu unseren ehemaligen
Stipendiaten gehört. Wir unterhielten uns lange mit ihm über die
Möglichkeiten der
Objektivierbarkeit des Auswahlprozesses der Kinder des Boarding School
Projektes. Neben bei
erfuhren wir viel über ihn selbst, seine persönliche Einstellung
gegenüber den Projekten und die
zurzeit relativ stabile politische Situation im Land. Zu viel, um es
hier nieder zu schreiben.
Danach folgten wir der Einladung von Mohammed, einem befreundeten
Angestellten, ihn zu Hause
zu besuchen. Er wollte uns zeigen, wie der Durchschnittsbürger in
Sierra Leone lebt. Wie sehr viele
Häuser der Menschen in Makeni, ist das Haus in dem der 25-jährige mit
seiner Frau und seinen zwei
Kindern lebt eine einzige Baustelle. Sein Haus ist nach allen Seite
offen und wäre wahrscheinlich für
unsere Begriffe unbewohnbar. Ganz im Gegensatz zur Gastfreundschaft und
Herzlichkeit, die mal
wieder überwältigend für uns Deutsche war.
Auf dem Nachhauseweg gabelte uns George Adams auf der Straße auf und
insistierte uns zu unserer
Unterkunft bringen zu dürfen. Er ist Libanese und Besitzer eines
Bauutensiliengroßhandels.
Unterwegs erzählte er beinahe enthusiastisch von der Zeit des Aufbruchs
nach der Ebola-Kriese,
bekundete mehrfach seine große Anerkennung gegenüber der nachhaltigen
Arbeit von L'appel und
bot uns ausdrücklich seine Hilfe für zukünftige Projekte an. "One hand
doesn't clap…", was wir locker
in „mit einer Hand kann man nicht klatschen“ übersetzen würden,
verabschiedete sich George mit
diesen ermutigenden und wahren Worten von uns.
Zurück
in der Unterkunft erholten wir uns kurz von den unglaublichen 43°C, die
das Thermometer
zeigte, und versendeten noch schnell ein paar Ostergrüße an die Heimat.
Als letzten Punkt auf
unserer to-do-List machten wir uns auf den Weg zum Baugrund des
Schulgeländes. Dort erwarteten
uns zwei Fußballfelder planierte Erde umgeben von wunderschönen
Palmenhainen und ein paar
Kassavafeldern. Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie unser Vorhaben
langsam Gestalt annimmt. Davon
aber in den nächsten Tagen mehr.
Ein schönes Wiedersehen
26.03.2016Der neue Tag begann mit
einem Treffen des Krankenhausmanagers Ibrahim Bangura; das Treffen war
vor allem zur Besprechung der Modalitäten des Capacity Buildings, der
Boarding School und der Erweiterung des Stipendienangebotes gedacht.
Hauptsächlich haben wir über die Möglichkeit der Erweiterung des
umgekehrten Generationenvertrages gesprochen, der in Zukunft auch die
Ausbildung zu Berufen außerhalb des Krankenhauses ermöglichen
soll.<
In diesem Rahmen berichtete uns Mr Bangura über die momentane Situation
unseres Stipendiaten Joshua; er hat für ihn und seine
Geschwister ein vielschichtiges Hilfsprogramm entwickelt.
Im Anschluss an das Gespräch trafen wir uns mit Mohammed, einen
Krankenpfleger und guten Freund aus der intensiven Zeit der
Ebola-Krise.
Mohammed begleitete uns zu dem Haus, in dem Joshua nun mit seinen 15
(Halb-) Schwestern und Brüdern lebt.
Joshua erwartete uns bereits - sowohl er als auch seine Familie waren
sichtlich erfreut über das Wiedersehen.
Er hat uns erzählt, wie es ihm gerade geht - der Besuch der Secondary
School, die abendlichen Lernschwierigkeiten aufgrund fehlender
Elektrizität, seine Pläne für die Zukunft und seine große Dankbarkeit
gegenüber L'appel und der dadurch erlangten Möglichkeit einer Förderung.
Wir verabredeten uns auf ein weiteres Treffen am Abend, um mehr von
seiner Lebensgeschichte zu erfahren.
Auf dem Nachhauseweg trafen wir Adolpho, einen ausgesprochen
offenherzigen kubanischen Chirurgen, der neuerdings im MCH
angestellt ist und uns direkt in den OP-Plan der kommenden Woche
einplanen wollte.
Da noch einige Dokumente für den UGV
gedruckt werden mussten und noch einige Kleinigkeiten zu klären waren,
traf sich Nick anschließend nochmals mit Mr. Bangura.
Am Abend erhielten wir dann Besuch von Joshua und dem zukünftigen
Stipendiaten Gibrilla Turey -
Gibrilla erzählte uns von seinem Studium, das er bereits anderthalb
Jahre an der University of Makeni absolviert hatte und dann aufgrund
finanzieller Probleme unterbrechen musste.
Sein großer Wunsch ist es, seine Ausbildung durch unser Patenprogramm
fortzusetzen -
er
setzt große Hoffnungen in die erfolgreiche Arbeit von L'appel, wie auch
viele Stipendiumsbewerber.
Eine große Motivation für uns – Allez L’appel!
Eine feierliche Begrüßung
24.03.2016Hanna und Nick sind wohlbehalten in Sierra Leone angekommen – Hanna vermisst zwar noch ihr komplettes Gepäck, abgesehen von ihrem Handgepäck, aber die beiden sind wohl auf <3 Wir freuen uns sehr, von ihren Erlebnissen vor Ort berichten zu können:
Unsere Ankunft in Sierra Leone war feierlich: Die Vertreter unserer Partnerorganisation SSLDF initiierten eine feierliche Einweihung der gerade fertig gestellten Brücke, die von nun an auch in der Regenzeit Zugang zum entstehenden Schulprojekt gewährleistet und darüber hinaus die Magbenteh Community mit dem Nachbardorf Maburka verbindet.
In afrikanischer Manier wurde das Fest und danach die Brücke von den Menschen der Gemeinde ekstatisch und ausgiebig begangen und die Arbeiter und Spender betanzt und geehrt.
Im
Anschluss wurden die drei Anwesenden Vertreter der SSLDF
und wir vom Gemeindevorsteher, dem Pastor und den drei Imamen der
Magbenteh Community in eine Art Gemeindesaal geladen, in dem unter
Anleitung des Pastors zunächst ein etwa zwanzigminütiges Gebet zur Ehre
aller Anwesenden, uns Gästen und der Brücke gesprochen wurde. Eine
ebenso lange muslimische Andacht - geführt von einem der drei Imame -
war der nächste Programmpunkt. Schön zu sehen: Ebenso wie bei der
vorangegangenen christlichen Zeremonie nahmen alle rund dreihundert
Anwesenden leidenschaftlich Teil. Es folgte eine Serie von Reden
bedeutender Persönlichkeiten. Neben den Vertretern der
unterschiedlichen Konfessionen, Harald Pfeiffer, dem Gründer und
Präsident unserer Partnerorganisation, waren das die Dorfältesten,
Krankenhausmanager Ibrahim Bamgura und der Gemeindevorsteher. Keiner
von ihnen war in der Lage, „L'appel“ richtig auszusprechen, aber doch
hat uns jeder einzelne gezeigt, dass er seine Begeisterung über unsere
Partizipation am entstehenden Schulprojekt sehr schätzt und auch unsere
Arbeit zur Bekämpfung der Ebola-Krise anerkennt und ehrt. Vielfach
wurde betont, dass die Magbenteh Community durch uns das erste
Behandlungszentrum des Districts hatte und im Selbstverständnis der
Bewohner sie diejenigen waren, die der Seuche ihre Unbesiegbarkeit
genommen haben.
Ibrahim Bangura, Manager SSLDF
In
allen Facetten wurde die Brücke wortreich als Metapher für die Bildung,
als Brücke zum Erfolg, als Zeichen der Freundschaft zwischen den
Dorfgemeinschaften, Verbindung der Konfessionen und Bindeglied zwischen
L'appel und SSLDF
beschrieben. Tatsächlich versteht sich die SSLDF
mit dem Bau dieser Brücke nicht nur als unser Partner, sondern
buchstäblich auch als unser Wegbereiter in vielen Dingen.
Den restlichen Tag verbrachten wir mit einem Krankenhausrundgang und
der Planung der kommenden Tage. Am Abend fuhren wir auf Motorradtaxis
mit einem armenischen Arzt, der lange für eines der Minenunternehmen,
die in Folge der Ebolakrise das Land verlassen haben, tätig war und
sich jetzt für eine Stelle im MCH
bewirbt, zum Abendessen ins Restaurant eines libanesischen Freundes.
Dort hörten wir seine spannende Lebensgeschichte, bekamen wertvolle
Ratschläge für unser weiteres Vorgehen als NGO in
Sierra Leone und ließen den Tag bei einem gekühlten Getränk ausklingen.
Es geht wieder los!
21.03.2016Am Donnerstag startet unsere erste Delegation in diesem Jahr nach Sierra Leone. Mit dabei sind Nick und Hanna, die uns mit Informationen auf dem Laufenden halten. Die Ziele der Reise? Seht und hört selbst!
Die
Erfolge der Projektreise sprechen für sich.
Zehn Tage einer aufregenden und
spannenden Reise sind vorbei und unsere
Delegation ist unversehrt und sehr zufrieden wieder in Deutschland
angekommen. Zu Beginn dieses Abenteuers war es noch unklar, wie weit
das Schulprojekt und die Umsetzung des Umgekehrten
Generationenvertrages am Magbenteh Community Hospital sich entwickeln
würden. Doch mit unglaublich viel Engagement der Partner vor Ort und
unserer Delegation ging es in großen Schritten voran.
Denn
die Kooperationsverträge für beide Projekte wurden fertiggestellt und
schließlich unterschrieben. So war es ein schier großartiger Moment für
Nick in die Gesichter der ersten zwei Stipendiatinnen des Umgekehrten
Generationenvertrages (Erklärung siehe erster Blogeintrag dieser Reise)
zu blicken und zu sehen, dass sich all die Mühen auszahlen. Dass beide
Projekte jetzt offiziell gestartet sind zeigt, dass es sich sehr wohl
loht an etwas festzuhalten, das zunächst unmöglich und utopisch
scheint. Kaum jemand hätte vor einem Jahr erwartet, dass wir zusammen
mit starken Partnern die Gründung einer Schule und ein
Stipendienprogramm in dieser kurzen Zeit auf die Beine zu stellen
würden.
Fast
genauso überwältigend war es für Elisa, Jakob, Till und Nick zu sehen
wie die Lebensfreude nach Sierra Leone zurückgekehrt ist. Unsere Jungs
kannten das Land zuvor nur im Krisenzustand und waren begeistert zu
sehen, dass die Menschen trotz Ihrer großen Verluste Ihre Fröhlichkeit
nicht verloren haben. So sind die Straßen wieder mit afrikanischen
Rhythmen gefüllt und es wird gefeiert, dass die Ebola Epidemie
überwunden ist. Ganz besondere afrikanische Vibes bekam Elisa zu
spüren, als Sie einen neuen Namen bekam. Den Menschen aus dem Polio
Dorf in der Nähe von Makeni schien der Name „Elisa“ viel zu schwer
aussprechbar und zu erinnern, darum wurde Ihr kurzer Hand der Namen
„Fatu“- die Erstgeborene - geschenkt. Begleitet von rhythmischem
Klatschen wurde Ihr der neue afrikanische Name in einer Art Zeremonie
zugeworfen, den sie dann auffangen und an ihr Herz führen musste.
So gibt es in diesem Land, das zu den ärmsten der Welt zählt, im Positiven wie im Negativen, herzergreifende Momente: Als die Delegation in Freetown war, hatten Sie auch ein paar Stunden an einem wunderschönen Strand zum runterkommen und einfach mal durchatmen. Doch gerade in dieser wunderschönen, idyllischen Umgebung wird einem bewusst, wie absurd und weit weg unser luxuriöses Leben in Europa von dem in Sierra Leone ist. Es macht einen etwas ohnmächtig an einem der schönsten Strände der Welt zu sein und gleichzeitig zu wissen in welcher schwierigen Lage das Land zu dem diese atemberaubende Natur gehört ist. Denn leider ist es Realität, dass es nach wie vor Familien gibt, die nicht wissen wie Sie das nötige Geld verdienen können um Ihre Kinder zur Schule zu schicken oder Sie ausgewogen zu ernähren. Das Bildungs- und Gesundheitssystem in Sierra Leone ist immer noch nicht so gut ausgebaut, dass sich jeder den Arzt- oder Schulbesuch erlauben kann. Entweder hat dies finanzielle Gründe oder es liegt daran, dass es gar keine oder keine gute Versorgung vor Ort gibt.
10
Tage Reise durch Sierra Leone haben also nicht nur sehr reale und
aktuelle Bilder des Landes gezeigt, sondern auch klar gestellt, dass
selbst Ziele die in weiter Ferne zu sein scheinen erreicht werden
können! Hiermit endet nun diese Delegationsreise. Doch weitere folgen
gewiss, denn unsere Projekte haben gerade erst wirklich begonnen und
fordern noch viel viel Arbeit bis sie zum Selbstläufer werden. Wer mit
aktuellen Informationen nicht bis zum nächsten Blogeintrag warten will,
kann sich zwischendurch einfach mal auf unserer Website umschauen und
bald Details zu den Filmaufnahmen von Alex und Martin finden.
Bis Bald, Eure Pia!
Ein
Forschungsausflug in die Community.
Elisa und Nick begaben sich zusammen mit Rebecca, einer der Outreach Officers, auf eine kleine Reise durch die Community. Die Auswahl der Schüler für die Boarding School soll mithilfe eines Fragebogens getroffen werden. Dabei handelt es sich erstmal um ein Pilotprojekt in dem 50 Familien zu Ihrer wirtschaftlichen und allgemeinen Lebenssituation befragt werden. Außerdem wollen wir herausfinden, wie viele Kinder in der Umgebung überhaupt schon zur Schule gehen.
Der Fragebogen besteht aus zwei Teilen, einer für die Eltern und einer für die Kinder. Die Eltern wurden über Einkommen und Beruf befragt, vor allem ob Sie vor der Ebola Krise die gleiche Tätigkeit ausgeübt haben wie danach. Außerdem war von Interesse, ob Sie während der Ebola-Krise Neuwaisen in Ihre Familie aufgenommen haben, ob Sie sich in der Community engagieren und ob Ihre Kinder zur Schule gehen und wenn nein, warum nicht.
Im Anschluss wurden auch die Kinder befragt. Wichtig ist vor allem, die unverfälschte Perspektive der Kinder einzufangen, weshalb Sie getrennt befragt wurden. Elisa, Nick und Rebecca wollten wissen welche Verantwortungen und Aufgaben Sie Zuhause übernehmen und ob auch Sie sich irgendwie in der Community miteinbringen. „Warum gehst Du zur Schule?“ oder „Warum würdest Du gerne zur Schule gehen?“ Oft erzählten Sie dann gleich im Anschluss von Ihren Träumen – Sie träumen davon Rechtsanwalt oder Doktor zu werden oder einfach nur eine bessere Lebensperspektive zu haben. Es mangelt zwar an vielem, aber an der Kraft zu Träume mangelt es Kindern auch in Sierra Leone nicht.
Um
diesen Träumen Dynamik und Substanz schenken zu können, starten wir
unser Boarding School Projekt. Die Fragebögen werden sobald unsere
Truppe zurück in Deutschland ist ausgewertet. Wir sind gespannt, was
die Auswertung ergibt.
Neben den Aktivitäten rund um das Schulprojekt stand in den letzten Tagen auch die Umsetzung des „Umgekehrten Generationenvertrages“ am Magbenteh Community Hospital an. Mit großem Erfolg. Ein allgemeiner Kooperationsvertrag zwischen der SSLDF und L’appel sowie eine Vereinbarung über den internen UGV am Krankenhaus wurden unterzeichnet. Von zukünftig sechs Stipendiaten haben bereits zwei Mitarbeiterinnen des Krankenhauses einen Vertrag bekommen und können jetzt Ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin beginnen.
Soviel
erstmal zu den letzten Erfolgen. Mittlerweile ist unsere Delegation
schon wieder in Deutschland gelandet. In den nächsten Tagen kommt ein
letzter, abschließender Blogeintrag. Seit gespannt auf „den
Abschlussbericht“ ;)
Die
Boarding School ist das zentrale Thema bei dieser Projektreise.
Während der Ebola-Epidemie galt im ganzen Land für jeden Menschen die „No-Touch-Policy“ – keine physischen Berührungen anderer Menschen um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Das galt sowohl für Fremde als auch für Familien. Die No-Touch-Policy ist seit wenigen Tagen wieder aufgehoben und ein ganz anderer Eindruck entstand, als unsere Gruppe in Makeni mit Umarmungen und Handschlägen begrüßt wurde. Die Erleichterung unserer Partner und mittlerweile Freunde war deutlich spürbar. Ebola ist jedoch nach wie vor sehr präsent in den Köpfen aller. Autos und Ihre Insassen werden z.B. immer noch in regelmäßigen Abständen auf Fieber, Durchfall oder Schwächeanzeichen kontrollierte. Weiter Veränderungen waren auch am Krankenhaus direkt zu sehen. Denn die vorherige Ebola Station wurde desinfiziert und gereinigt und wird nun wieder als Kinderstation benutzt und in der gynäkologischen Abteilung sind Anstalten zur Vergrößerung zu beobachten.
Elisa, Jakob, Nick und Till haben sich in Begleitung des Kamerateams und der Architektin das Grundstück der zukünftigen Boarding School angesehen. Auf dem Baugrund hat sich schon einiges getan und bereits die ersten Arbeiten zur Vorbereitung des Baugrundes sind zu erkennen. Neben den baulichen Neuerungen, ist auch in der Planung der Schule schon einiges passiert. Neben den handfesten Angelegenheiten für den Bau, stand die Auseinandersetzung mit ideellen Fragen zur Schule schon auf dem Programm der letzten Tage.
Um eben diesen ideellen Themen nachzugehen ging es für alle nach Freetown, um sich dort mit einem hohen Angehörigen des Gesundheitsministeriums zu treffen. Leider sagte dieser spontan ab, sodass es kein offizielles Interview gab. Zum Glück entstand dadurch etwas mehr Zeit sich ein bereits existierendes Schulprojekt anzusehen. So machte sich die Gruppe auf den Weg die Grassfield Schule, ein Projekt des oldenburgischen Vereins Hilfe direkt VIB e.V. , in Freetown anzusehen.
Wenn ich an Schule denke, so kommt mir ein großes, massives Gebäude, Tafeln an den Wänden sowie bunt geschmückte Klassenräume und viele Kinder auf einem Haufen in den Sinn. Kinder und junge Menschen gibt es in Sierra Leone im Verhältnis zu Deutschland deutlich mehr. Doch wenn es um Schulgebäuden, Schüler und Lehrer geht, so sieht das hier ganz anders aus! Während es uns nicht an Buntstiften, Heften und Turnhallen mangelt, so mangelt es dort bereits oft an der Möglichkeit das Schulgeld zu bezahlen, genügend Essen oder überhaupt eine Lehrperson zu haben.
Als sich die ganze Crew (also Elisa, Jakob, Nick und Till sowie Alex und Martin) die sehr vorbildlich laufende Grassfield Schule anguckte, ging es nicht nur darum wahrzunehmen wie die Räumlichkeiten angelegt sind und wie die Schule rein praktisch funktioniert, sondern auch darum sich Input zu holen was man eventuell anders machen kann.
So
setzte sich Jakob mit in den Unterricht der zweiten Klasse und stellte
fest, dass die Selbstdisziplin der 20 Schüler weit höher als die von so
manchem Deutschen Schüler war, das Unterrichtsmodell jedoch dem
klassischen Frontalunterricht entsprach und das eigenständige Denken im
gemeinsamen Klassengespräch nicht sehr gefördert wird.
An einer öffentlichen, in der Provinz von Sierra Leone gelegenen Schule
ist Frontalunterricht mit einer Klasse von ca 150 Schülern gang und
gäbe und individuelle Betreuung demnach schier unmöglich. Für L’appel
und das geplante Boarding School Projekt stellen sich zur Zeit Fragen
wie: „Welche Feinheiten werden in der Planung vielleicht noch nicht
bedacht, und wie können wir diese geschickt einbringen?“ oder „Wie
sieht es nach zwei Bürgerkriegen und der
Ebola Epidemie überhaupt mit der psychischen Gesundheit der Kinder
aus?“
Gerade in Bezug auf die psychische Gesundheit hat ein sehr fruchtbares Treffen mit Dr Carmen Velle, einer Psychologin in führender Position der NGO CBM stattgefunden. CBM arbeitet bereits seit mehreren Jahren daran, in Sierra Leone Möglichkeiten für psychologische sowie psychiatrische Behandlungen und Betreuungen zu schaffen und auszubauen. Unsere Vier haben mit Ihr vor allem über die Traumatisierung durch Ebola sowie über Fortbildungsmöglichkeiten für die Lehrer und Betreuer des geplanten Internates gesprochen und es sieht ganz so aus, als würde es bald zu einer guten Zusammenarbeit kommen.
Momentan dreht sich also vieles um das momentane Herzstück, das Schulprojekt und wir freuen uns riesig über die ganzen Fortschritte, die in den letzten Tagen schon erreicht wurden!
Im
Mai waren wir vor Ort um verschiedene Projekte zu planen, jetzt folgen
schon die ersten konkreten Schritte.
Die Koffer sind gepackt, die Flüge gebucht und unsere 2. Sierra Leone Delegation in diesem Jahr ist bereits am Flughafen oder schon im Flieger, wenn dieser Blogeintrag online gestellt wird. Dieses Mal wird der Blog von einer außenstehenden Person, die nicht mit in Sierra Leone ist geschrieben, nämlich mir: Pia. Ich bin im ständigen Kontakt mit unserer Gruppe und werde Euch alle gemeinsam mit Jan auf dem Laufenden halten.
Das
Team vor Ort besteht dieses mal aus den alten Hasen Jakob, Nick und
Till, sowie der erstmalig nach Sierra Leone reisenden Elisa, dem
Journalisten Alex und dem Kameramann Martin. Letztere werden
Filmaufnahmen für einen Dokumentarfilm machen und die Arbeit der Gruppe
begleiten, denn Arbeit gibt es reichlich!
Im Gepäck haben die Vier eine große Aufgabenliste. Hier ein Auszug: die
Vorbereitung des ersten Spatenstichs der geplanten Boarding-School;
Prüfung der Umsetzbarkeit des umgekehrten Generationenvertrages(UGV)
für 6 Fachkräfte des Magbenteh Community Hospital, und die Prüfung des
UGVs für Studierende in Makeni.
Der umgekehrte Generationenvertrag lehnt sich an das Modell des UGVs der Universität Witten/Herdecke an und funktioniert im Prinzip so, dass die geförderte Person ein Stipendium für ihre Ausbildung bekommt und dieses sobald sie ein geregeltes Einkommen hat, mit einem Prozentsatz davon zurückzahlt und somit neuen Stipendiaten eine Ausbildung/ein Studium ermöglicht.
Wie diese Finanzierungsmöglichkeit aber in einem Land funktionieren kann, in dem geschriebene Verträge einen anderen Stellenwert besitzen als in Deutschland, wird das Team durch wissenschaftliche Datenerhebungen, diverse Meetings und ihrem scharfen Verstand versuchen herauszufinden. Während es für die 6 Fachkräfte des Krankenhauses schon sehr realistische Grundlagen in der Umsetzung gibt, sieht die Situation mit Studenten ganz anders aus. Denn diese haben noch keinen festen Job oder ein vertraglich geregeltes Arbeitsverhältnis. Deshalb wird es eine der weit schwierigeren Aufgaben sein, Kriterien auszuarbeiten nach denen die Geförderten ausgesucht werden. Es stellt sich die Frage wer dieses Privileg erhalten soll, wenn doch der Großteil der Bevölkerung die Möglichkeit einer Ausbildung dringend gebrauchen könnte.
Auch bei der geplanten Schule wird das Problem entstehen Geförderte auszuwählen, allerdings muss die Schule vorher erst einmal gebaut werden. Mit viel Idealismus wird der Baubeginn bereits in den nächsten 10 Tagen stattfinden. Bis dahin müssen allerdings noch Kooperationsverträge zwischen der Swiss Sierra Leone Development Foundation (SSLDF), dem britisch-sierra leonischen Verein EducAid und L’appel ausgetüftelt werden. Erst wenn alle drei Seiten ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche und Aufgabenfelder festgelegt haben (also wer in welchem Rahmen für was zuständig ist und welche Ziele gemeinsam wie verfolgt) wird es mit Vollgas losgehen. Die To-Do-Liste ist also lang, sehr lang und sehr ambitioniert. Doch wenn sich die Vier selbst übertreffen, werden am Ende der Reise stabile Grundlagen für die Projekte gelegt und Selbstläufer aus den Vorhaben geworden sein.
An Motivation, Energie und Engagement wird es jedenfalls nicht scheitern, denn Sierra Leone ist nun offiziell Ebola-frei und die Vorfreude auf das Ermöglichen von Bildung ist riesig.
Stimmen
aus einer
fernen Welt. Drei Wochen danach.
Eine gewisse Melancholie erfasst uns während wir diese Zeilen schreiben, um zusammen zu tragen was wir dieses Jahr erneut in Ruanda erleben konnten, um euch an Momenten dieser Reise teilhaben zu lassen.
Ungewohnt für uns, neu und aus einer unangenehmen Notwendigkeit heraus geboren, schreiben wir unseren Reisebericht für euch Wochen nach unserer Wiederkehr nach Deutschland. Die Dichte der Arbeiten vor Ort und der Fokus mit dem wir unseren Zielen nach gingen erlaube es nicht wie gewohnt den Live-Blog zu führen. Wir sitzen nun in der wolkenverhangenen Heimat, lassen uns von Musik leiten die uns in Gedanken in die Vergangenheit befördert. Nicht selten schließen wir die Augen während wir schreiben und sind wieder dort – im geliebten Ruanda.
Carlas einsamer Kampf
Erstmalig reist Carla als Vertreterin L’appels und damit in einer offiziellen Mission nach Ruanda, erstmalig nach mehreren Jahren privaten Engagements. Mit dem ersten Schritt auf ruandischem Boden trifft sie nicht nur ihre lange vermissten Freunde wieder, sondern begegnet ihnen als Partner, vertraut mit Pflichten, Verantwortungen und Hoffnungen. Eine Tatsache, die Carla in den ersten Tagen in Ruanda häufig beschäftigt.
Unmittelbar sieht sie sich auch
den ersten Problemen konfrontiert. Die Krankenstation wird zwar baulich
wie
geplant fertig gestellt und damit von unserer Seite termingerecht
bereitgestellt,
jedoch scheint die Lokalregierung alle Erinnerungen an unsere
Übereinkünfte und
Verträge abgelegt zu haben. Unerwartet erkennen Unterzeichner von
Verträgen
scheinbar ihre Handschrift nicht mehr und in Gesprächen in
verschiedenen
Instanzen erkennt Carla, dass hier vor allem gefeilscht wird. Versucht
hier
jemand sich an uns zu bereichern? Sind die Aussagen, es mangele an
Finanzmitteln zum Betrieb der Station, wahr? Ist weitere finanzielle
Hilfe
tatsächlich notwendig?
Geistesgegenwärtig macht sich Carla, stets begleitet von unserem Projekt-Manager Emmanuel, daran weitere Instanzen aufzusuchen, beharrlich zu bleiben. Erstmals begegnet sie dabei in Ruanda einer Geschlechterproblematik. Carla kann kaum Gespräche ohne Begleitung von Emmanuel führen. Gespräche brechen oft unvermittelt ab wenn sie alleine ist. Man begegnet ihr bei Behörden stellenweise nicht auf Augenhöhe. Der Verdacht kommt auf dies hänge damit zusammen, dass sie als Frau alleine in diesen Gesprächen nicht respektiert und ernst genommen wird. Eine frustrierende, wenn auch interessante Erfahrung für Carla und auch für uns, da dies doch erneut aufzeigt wie schwer dieses Land manchmal einzuschätzen ist. Hier erleben wir traditionelle, geschlechtsdefinierte Rollenverständnisse und zeitlich hört man im Radio Ansprachen des Präsidenten Kagames zum unersetzlichen Mehrwehrt starker und selbstständiger Frauen für das Land. Einerseits spürt Carla wie sie kaum eine Stimme in den Gesprächen zu haben scheint und andererseits bekleiden Frauen viele hohe politische Ämter im Land. Ist dies ein kleines lokales Problem, oder sehen wir hier die Ohnmacht die in der ruandischen Politik mit diesen Ämtern einhergeht?
Der nötige Nachdruck und der persönliche Draht zu den richtigen Stellen (vor allem auf Nachhilfe unserer Partner vor Ort) führen letztendlich dazu, dass Gespräche viel offener geführt werden können und eine gute Lösung scheint sich zu finden. Aus den umliegenden Krankenhäusern und –stationen soll Personal abgezogen werden um unsere Krankenstation zu betreiben. Dies geschieht so lange bis im Januar die staatlichen Finanzen neu vergeben werden. Eine Lösung scheint gefunden, die Eigenverantwortlichkeit der Organe und Organisationen vor Ort in der Führung der Anlage ist bewahrt. Nun stellt sich nur noch die Frage nach dem „wann?“. Es heißt, dass der Betrieb unmittelbar nach Fertigstellung des Gebäudes aufgenommen wird. Wir wissen, dass das für uns sieben Tage bedeutet. Was „unmittelbar“ für die andere Seite in diesem Fall heißt zeigt sich für uns bis heute.
Carla beschäftigt sich noch mit
einer zweiten, großen Aufgabe. Ein neues Projekt-Konzept soll
recherchiert
werden. Dabei handelt es sich um eine wirtschaftliche Unterstützung
unserer
Projektregion durch die gezielte Förderung der Produktion von
Handwerkswaren,
Kunstgegenständen und weiteren traditionellen (schiffbaren) Produkten.
Die Rede
ist hier von einem „Handels-Projekt“. Waren sollen auf Fair-Trade Basis
vor Ort
produziert werden. Womit es sich hier genau auf sich hat findet ihr im
Abschnitt „Infrastruktur“. Mit dem Konzept dieser Projekt-Idee,
inzwischen als
Social-Business-Konzept, können wir gezielt die Entwicklung schwacher
Regionen
fördern und den Menschen mit einem einzigen Mittel die eigene, faire
Entwicklung erleichtern: Dem Zugang zu vorher unerreichbaren Märkten.
Carla besucht dafür in ihren ersten zwei Wochen verschiedene Kooperativen in Kigali, Produzenten und Händler die bereits jetzt für das Ausland produzieren. Sie hinterfragt tiefgehend die Arbeitsbedingungen vor Ort, Gewinnmargen und sucht nach Antworten auf die Frage wer von den Produkten eigentlich profitiert. Es geht um Fragen des Qualitätsmanagements, der Fair-Trade-Produktion und vieles mehr. Aus all diesen Gesprächen ergeben sich viele Anregungen, Ideen werden konkreter oder wieder verworfen. Vor allem aber stellen sich mehr und mehr Fragen. Fragen mit denen Carla und einige Tage später auch wir konfrontiert werden.
Im Team stärker
Mitte bis Ende September erreicht endlich der Rest der diesjährigen Delegation-Ruanda ihr Ziel. An einem Abend sitzen wir alle gemeinsam, Jan, Carla, Christoph, Janine und Jakob, zusammen in unserer Unterkunft und besprechen in gemütlicher Runde die Aufgaben der kommenden zweieinhalb Wochen. Die Projektreise hat offiziell begonnen – und sie wird intensiv.
Unsere Aufgaben können wir in fünf große Pakete schnüren, jedes spannend auf seine eigene Weise. Seht selbst!
Gesundheit – Krankenstation reloaded
Der erste große Block ist die Krankenstation. Zur Vervollständigung unserer Aufgaben heißt es also die Einrichtung zu organisieren, Materialien zu erwerben und die Station zu übergeben. Zusätzlich wichtig ist es die mündlichen Absprachen, die Carla hat treffen können, zu festigen und abzusichern. Der Eröffnung der Krankenstation steht damit nichts mehr im Wege.
Nach
Vergleich dreier
Konkurrenten konnten wir über einen kenianischen Händler die benötigten
Materialien zu erstehen. Binnen zweier Tage waren das Material
und die Einrichtungsgegenstände organisiert, die Bestellliste mit der
Lieferung
abgeglichen und abgezeichnet, das Material verladen und an einem
Samstagmorgen
per Transporter nach Kiruhura transportiert. Die Anfahrt im nicht
geländetauglichen
Fahrzeug, bei dem es um Haaresbreite an einer Stelle nicht mehr weiter
gegangen
wäre, ist dabei allerdings eine Geschichte für sich. Wen das neugierig
macht,
der sollte Carla oder Jakob mal auf die Aussagen „aus diesen Steinen da
drüben
können wir eine Rampe stapeln“, oder „Zurück können wir diesen Weg
jedenfalls
nicht nehmen“ ansprechen. Beide Aussagen stehen übrigens in einem
Zusammenhang.
Das Mobiliar konnten wir erfreulicherweise direkt bei Schreinern in Kiruhura herstellen lassen. Die Möbel sind belastbar und robust und aus lokalem Material gefertigt. Optisch zwar etwas fremd, aber eine hervorragende Gelegenheit für die lokalen Schreiner sich auch in das Projekt einzubinden.
Die Krankenstation in Kiruhura ist in ihrem erstem Bauabschnitt, der Ambulanz und Administration fertig gestellt. Die, durch neue Auflagen benötigten, größeren Toiletten- und Hygieneanlagen, die Stützmauer der Terrasse, Regenwasserauffangbecken und Überläufe, Fußwege und Garten, Auffahrt und Fahrzeug-Rampe sind fertig gestellt. Nichts steht von unserer Seite der Eröffnung und dem Betrieb im Weg. Die aktuellste Aussage der Behörden versprach eine Eröffnung am 03.Oktober 2015. Dieses Datum ist nun verstrichen und mit großem Nachdruck eifern wir und unsere Partner, die inzwischen fast täglich auf der Türschwelle der Behörden sitzen, nun der tatsächlichen Eröffnung entgegen.
Zuletzt gab es im Rahmen des Gesamt-Projekts natürlich auch Planungen für die Zukunft und so berieten wir gemeinsam mit dem Gemeinderat, dem Präsidenten des Ältestenrats und der Leitung der Zelle Kiruhura darüber wie der Bau fortschreiten soll. 2016 wird das Jahr sein in dem das zweite große Gebäude, das Geburtenhaus, gebaut wird.
Organisation – Partner, die Vergangenheit und die Zukunft
Mit diesem Meilenstein in
Reichweite ist die Zeit gekommen mit unseren Partnern die bisherige
Zusammenarbeit zu hinterfragen und Schlüsse aus dem gemeinsam gelernten
zu
ziehen. Ebenso möchten wir die Zukunft unserer Kooperationen
besprechen. Diese
Ziele beinhalten spannende Gespräche, aber auch formelle Arbeiten. Das
Papier
ist hier geduldiger als wir es sind.
Leitendes Fazit dieses Aufgabenblocks ist erneut, dass die Uhren nirgendwo so ticken wie zu Hause und dass mit jedem Partner und jeder Kooperation andere Kompromisse gefunden werden müssen. Wer letztes Jahr unseren Blog gelesen hat erinnert sich vielleicht daran, dass wir viel Mühe darauf verwendet haben uns als Internationale Entwicklungsorganisation in Ruanda registrieren zu lassen – sozusagen eine NGO in Ruanda zu gründen. Dies hat formelle, organisatorische, aber auch finanzielle Vorteile (z.B. weniger Bankgebühren). Dieser Prozess war bereits letztes Jahr weit fortgeschritten und sollte dieses Jahr abgeschlossen werden. Wie man es sich von guter Bürokratie wünscht, war aber der Registrierungsprozess inzwischen vollständig überarbeitet und aufballoniert worden, sodass wir von vorne beginnen durften. „Passier-Schein A38“ klingelt es jetzt im Hinterkopf eines jeden Asterix-Kenners.
Forschung – denn Antworten bekommt nur der der fragt
Mit der baldig abgeschlossenen
Krankenstation sind unsere Köpfe offener für neue Fragen und Probleme.
Unsere
Beobachtungen in Ruanda stützen sich inzwischen auf Erfahrungen einiger
Jahre
und auch unsere Organisation ist gereift. Neuen Aufgaben stellen wir
uns gänzlich
anders als vor drei Jahren und somit tauchen wir in das Gebiet der
Feld-Forschung
und Regionen-Analyse ein. Wir sind mehr als aufgeregt, denn endlich
haben wir
die Kapazitäten und das Know-How um seit Jahren stehende Aussagen über
unsere
Projektregion zu hinterfragen und viel bisher Unbekanntes zu lernen.
Wir haben
zum Ziel die Menschen und die Region in der wir uns engagieren nun
nicht nur
persönlich, sondern auch faktisch kennen zu lernen.
Dieses Jahr erfolgte genau diese
Arbeit im Rahmen von zwei unabhängigen Studien, welche wir parallel
durchführten, als wir dieses Jahr unseren fünftägigen Aufenthalt in
Kiruhuha
hatten. In der ersten der beiden Studien setzten wir uns mit einer
medizinischen Fragestellung auseinander. Auf der Suche nach der
Häufigkeit von
nicht-übertragbaren Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Diabetes und
anderen
(manchmal auch „Zivilisationskrankheiten“ genannt), sind wir damit
nicht nur
einem ausgeschriebenen Forschungszweig in den nationalen
Entwicklungszielen
Ruandas gefolgt, sondern konnten gleichzeitig Schlüsse für die
unmittelbare
Arbeit in der Behandlung an unserer Krankenstation ziehen.
Behandlungspläne im
ländlichen Ruanda sehen aktuell nicht vor Krankheiten wie die oben
genannten
abzufragen oder zu behandeln. Die internationale Literatur und
Forschung ist
sich einig darüber, dass diese ebenfalls kaum in der ländlichen
Bevölkerung
Afrikas vorkommen. Durch die Befragung und Untersuchung von 261
Erwachsenen
Kiruhuras konnte sich zum einen Janine, Kardiologin aus Köln und
Team-Mitglied
von L’appel, Grundlage für ihre Dissertation schaffen. Zum anderen
konnten wir
bereits frühzeitig die Erkenntnis gewinnen, dass die
nicht-übertragbaren
Krankheiten durchaus ein Thema sind und Behandlungsbedarf besteht. Wir
sind auf
die Auswertung und Ergebnisse dieser Studie sehr gespannt und erwarten
sie für
2016.
Die zweite Studie sollte
umfassendere Daten über die Gesamtsituation der Region und der Menschen
liefern. Neben Fragestellungen zu sozio-ökonomischen Faktoren ging es
vor allem
um Fragen der Elektrizität. Dabei war uns wichtig zum einen den genauen
Bedarf
der Elektrifizierung zu ermitteln, sowie die benötigte Kapazität. Es
sollte
geklärt werden welche elektrischen Geräte und Anwendungen bereits heute
genutzt
werden, als auch ermittelt werden wie sich dieser bei bestehendem
Stromanschluss entwickeln würde. Zuletzt sollte die wirtschaftliche
Machbarkeit
einer Elektrifizierung gezeigt werden. Ihr erkennt schnell, dass diese
Umfrage
sehr wirtschaftliche, unternehmerische Dimensionen hat. Die Begründung
dafür
könnt ihr weiter unten im Bereich „Elektrizität – das Lebenselixier
unserer
Zivilisation?“ finden. Auch für diese Energie-Studie wurden 261
Erwachsene nach
ihren Haushalten befragt. In einer etwas veränderten Umfrage konnten
wir aus
mehreren Dörfern der Region von Dorf-Sprechern, Oberhäuptern und
Ältesten
wichtige Informationen erhalten.
Ohne
die Unterstützung
ruandischer Partner und Helfer hätten wir diese Studien nicht
durchführen
können. Unser besonderer Dank gilt hier Francine und Longin von einem
lokalen
Solarbauer die nicht nur den Umfragebogen der Energie-Studie mit uns
gemeinsam
entworfen haben, sondern ein Wochenende mit uns gereist sind um unsere
Übersetzer anzulernen und zu trainieren. Mindestens ebenso groß ist
unser Dank
an unsere sechs lokalen Übersetzer, die vier Tage lang von
Sonnenaufgang bis
Sonnenuntergang unermüdlich in den Räumlichkeiten der Krankenstation,
die
dadurch zum Leben erweckt wurden, Menschen befragten. Silvestre,
Projektbetreuer vor Ort und Vorsitzender des Ältestenrates der Region,
hat
dabei erneut seine organisatorischen Fähigkeiten bewiesen und es
geschafft ohne moderne Kommunikation (okay, ein
paar Telefonate waren dabei) jeden Morgen
koordiniert Menschen aus einem anderen Dorf zur Krankenstation zu
bewegen.
Was für uns das wertvollste daran war? Wir haben endlich die Menschen der Region besser kennen gelernt. Wo in den letzten Jahren vor Ort Kinder unseren Alltag bestimmt haben sind wir nun mit den Erwachsenen, Ältesten, Weisen und Gebrechlichen in Kontakt getreten. Wir konnten hautnah ihre Probleme sehen und erfragen und haben uns ihre Geschichten anhören können. Ebenso haben wir von ihren Erwartungen und Wünschen, auch an uns, gehört und ein unheimlich feines Gefühl dafür entwickelt „wer“ eigentlich in Kiruhuha und seinen Dörfern lebt. Für diesen Mehrwert sind wir sehr dankbar.
Infrastruktur – ist wirtschaftliche Förderung überhaupt eine Aufgabe von Hilfsorganisationen? Und wenn ja, ist sie sinnvoll?
Alles fing mit einer kleinen,
schönen und romantischen Idee an. Nutze das Können der Menschen vor
Ort. Nimm
ihre Waren, ihre Kunst und ihre Kultur und gib ihr einen neuen Markt.
Benutze
dafür einen wohlhabenden Markt. So wohlhabend, dass Einnahmen für die
herstellenden Menschen vor Ort als Überschuss bleiben. Mehr Überschuss
als sie
bisher selbst erwirtschaften können. Genug Überschuss um damit
anhaltende
Entwicklung zu fördern. Wir mögen dieses Konzept der internationalen
Zusammenarbeit sehr, denn es bringt Vorteile für alle Beteiligten mit
sich. Je
mehr wir uns mit dem Konzept jedoch beschäftigten, desto weniger
romantisch
wurde es. Es wurde geschäftlicher, es wurde buchhalterischer, es wurde
größer
und aufwendiger. Vor allem wurde es dadurch aber faszinierender!
Sehr schnell wurde uns in den
abendlichen, kreativen Runden klar, dass sich dieses Projekt nur
sinnhaft
lohnen würde, wenn es eine gewisse Mindestgröße wahrt. Ein Ansatz der
vielerorts im Kleinen umgesetzt wird scheint uns dabei nicht
förderlich. In
diesem Konzept reisen Privatpersonen regelmäßig ins Zielland, kaufen
lokale
Produkte ein bis ihre Koffer voll sind, reisen zurück nach Hause und
vertreiben
dort diese Produkte. Das ganze trägt sich finanziell grade so selbst.
Die
Entwicklungsförderung für die Menschen im Zielland besteht aus den
Erlösen vom
Verkauf. Da wir aber planen mit dem erzielten Gewinn der Verkäufe einen
Förder-Topf zu tragen der weitere klein-wirtschaftliche Initiativen
fördern
soll muss größer geplant werden. Schubweise Produktion wird den
Menschen
letztendlich nicht ausreichend helfen. Denn wir wissen: Der Gicumbi
District,
in dem unsere Projektregion der Zelle Kiruhura liegt, ist der ärmste
District
in der nördlichen Provinz Ruandas und gehört mit einer Bevölkerung von
25% in
absoluter Armut und über 40% in Armut zu den ärmsten im Land. Viele
beeindruckende Entwicklungen die das Land in den letzten Jahres gemacht
hat
sind an dieser Region vorbei gegangen. Sie ist damit nicht mehr typisch
für das
Land, aber das beste Beispiel dafür wie Entwicklung nicht homogen und
linear
erfolgt. Sie ist nicht fair für alle. Die von der Armut betroffenen
haben diese
nicht selbst verschuldet. Grundsatz bei der Förderung von Initiativen
sollte
also dabei immer die Stärkung der ökonomischen Sicherheit sein.
In diesem Umfang kann das Projekt letztendlich nur als Social Business funktionieren. Ein eigenes Unternehmen, entkoppelt von L’appel. Dies bedeutet, dass eine gute Unternehmensplanung notwendig ist. Da zusätzlich eher mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet wurden kommen wir mit vielen Fragezeichen wieder nach Deutschland. Doch keineswegs kommen wir mit leeren Händen. Das Projekt trägt nun sozusagen neue Farben. Es ist ein verändertes Konzept und wird in dieser Form, wenn erfolgreich umgesetzt, deutlich mehr Wirksamkeit in der Entwicklung vor Ort zeigen als sein kleinerer Vorgänger. Die weitere Projektplanung und –Recherche liegt nun bei Carla und ihren wachsenden Team an der Lüneburger Leuphana Universität. An dieser Universität werden wir durch Lehrstuhlinhaber beraten. Ein weiter Weg liegt noch vor diesem Projekt und wir sind gespannt wie es sich entwickeln wird.
Was nun noch stehen geblieben
ist, ist die Frage aus der Überschrift. NGOs und wirtschaftliche
Förderung –
passt das überhaupt zusammen? Große und erfolgreiche Organisationen wie
ASHOKA
haben ihr Dasein genau diesem Kontext gewidmet. Und das mit einem guten
Grund.
Die Förderung wirtschaftlicher Entwicklung bedeutet nicht nur Kapital in erfolgsversprechende Ideen zu investieren, sondern vor allem direkt die Fähigkeiten der lokalen Menschen zu fördern. Dabei ist die Unterstützung der Gründung von Kooperativen, Initiativen oder Unternehmen die Nachhaltigste der Hilfen. Einmalige Hilfen, wie beispielsweise Akuthilfen, Lebensmittel, Medikamente, Kleidung und anderes sind Tropfen auf dem heißen Stein. Ähnlich wie ein Schokoriegel bei Heißhunger schaffen sie eine kurzzeitige Erleichterung der Problemsituation, führen aber langfristig eher zu noch mehr Problemen in Form von wachsender Abhängigkeit. Eigenständige Entwicklung braucht Ressourcen und Ideen. Ideen gibt es vor Ort zu genüge.
Konzepte die funktionieren werden stabile Arbeitsplätze schaffen. Erfolge mit diesen Geschäften führen dazu, dass Eigentümer eigenständig und kontinuierlich sich, ihre Familie und Dritte ernähren können. Was der Region in der wir aktiv sind fehlt sind Investitionen und Kapital mit dem „angefangen“ werden kann. Dieses wollen wir nicht einfach so einschießen, denn das verlagert das Problem nur. Es gegen eine „Gegenleistung“, sprich Arbeit, zu tauschen erscheint dabei sinnvoller. Nicht ohne Grund fordern namhafte Experten wie William Easterly in seinem Buch „Wir retten die Welt zu Tode: Für ein professionelleres Management im Kampf gegen die Armut“, dass Entwicklungsgelder zukünftig eher wie unternehmerische Investitionen behandelt werden sollten – kritisch auf ihren Erfolg und die erzielte Wirksamkeit geprüft.
Und schon sind wir bei der Projektidee. Ob es richtig und erfolgsversprechend ist dieses Projekt anzugehen werden die Analysen des kommenden Jahres zeigen. Für 2016 erwarten wir hier die ersten konkreten Schritte.
Elektrizität – das Lebenselixier unserer Zivilisation?
Schon seit unserem ersten Jahr in
Ruanda wissen wir aus Gesprächen, Erzählungen und eigener Erfahrung um
den
Bedarf der Elektrifizierung unserer Projektregion. Bewohner nennen
fehlenden
Strom als ihr größtes Problem. Trotzdem kommen den kulturell bewussten
unserer
Mitglieder schnell berechtigte Zweifel, ob die „klassische“
Elektrifizierung,
gepaart mit der Erschließung der westlichen Informations- und
Kommunikationsmöglichkeiten
der richtige Weg für jede Gesellschaft, Gruppe oder Kultur per se ist. Nichtsdestotrotz nehmen wir
die Appelle und nun auch
empirisch analysierten Bedürfnisse der Menschen in unserer
Projektregion ernst
und sehen selbstverständlich auch selbst die unmittelbaren Vorteile und
Verbesserungen die durch Elektrizität erreicht werden. Wir sind uns
allerdings
auch der Folgen gewiss. Wie sagte Onkel Ben schon zu Spiderman: „Mit großer Macht kommt große Verantwortung“
– über Elektrizität und den Zugang zu „unserer“ Welt kann man das
gleiche
sagen. Die Verantwortung liegt bei uns.
Für unsere Energie-Studie in Kiruhura kooperierten wir mit einem privaten Unternehmen. Wir haben diesen Entschluss gefasst, da wird dieses Projekt in seiner Gesamtheit für die Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Markt planen. Wieso? Jede Installation in der Infrastruktur benötigt Wartung, Pflege sowie Aus- und Umbau von der Sekunde an in der sie fertig gestellt wird. Jemand muss diese Aufgaben übernehmen. Jemand muss in der Lage sein diese Arbeiten zufriedenstellend durchzuführen. Wir reden hier also davon, dass sich jemand für diese infrastrukturelle Installation verantwortlich fühlen muss und die notwenige Expertise besitzt. Besonders verantwortlich fühlen wir uns übrigens, wenn es bei der besagten Sache um etwas geht wovon wir unmittelbar profitieren. Dies gilt in besonderem Maß für Unternehmen, da hier nicht nur persönlicher Profit im Raum steht, sondern auch Sicherheiten für Angestellte, Investoren, Gläubiger und so weiter.
Entwicklungsorganisationen haben
bei solchen Projekte oft einen schwierigen Stand. Anreize für einzelne
Personen
fehlen, da niemand profitiert (außer „die Gesellschaft“). Damit ist
zwar
Verantwortungsgefühl für einige Beteiligte gut steuerbar, aber keine
unmittelbare Sicherheit. Wie groß ist die Chance, dass bei einem
solchen
Infrastrukturprojekt eine NGO auf viele Jahre in die Zukunft sicher die
Ausbildung von Personal für die Wartung koordiniert, die Strom-Kunden
betreut, Reparaturen
und Umbauten finanziert und so weiter? Wir sehen hier in der
Kooperation mit
Unternehmen eine deutlich größere Chance, dass diese Faktoren gewahrt
werden.
Schließlich sind sie in unmittelbarem Interesse des Unternehmens.
Zusätzlich
ist das Unternehmen gewillt am neuen Standort zu wachsen und neue
Kunden zu
erreichen sobald der Standort einmal erschlossen ist. Aus
entwicklungsspezifischer Sicht ist das genau das was wir wollen –
Menschen bekommen
Strom zu fairen Preisen. Was ist fair? Nun: Das ist Thema einer anderen
Diskussion und leuchtet stets auf unserem Planungs-Radar.
Um die fairste Lösung im konkreten Fall Kiruhuras zu finden kommunizieren wir nun mit einer Hand voll Unternehmen. Diese (lokalen, ostafrikanischen und auch internationalen) Unternehmen sollen jeweils ein Projektkonzept für die Region schnüren. Danach erfolgt die Bewertung dieser verschiedenen Konzepte. Idealerweise wird L’appel sich dann gar nicht mehr engagieren müssen, da sich das Unternehmen selbst finanziert. Hier geht es aber um Fragen die erst im Verlauf geklärt werden. Vorerst erwarten wir die Ergebnisse der Studie für das erste Quartal 2016 und bauen unsere Schlüsse darauf auf.
Fazit
Unsere diesjährige Reise nach
Ruanda endete so wie sie begann. Carla blieb noch für einige Zeit
alleine vor
Ort. So sollen es auch ihre Worte sein die den Bericht schließen und
damit
gleichzeitig das neue Jahres-Kapitel unserer Arbeit in Ruanda eröffnen.
Diese Wochen waren für mich voller Neuem in Bekanntem, Bekanntes im Neuen, Begegnungen und Momente voller Freude, Fragen und Erfahrungen. Das Land das ich bisher als Free-Mover, für mich auf meine Weise kennen und lieben gelernt habe, hat während wir als Team dort waren, teilweise ganz neue Gesichter bekommen. Wie verhalten sich Ruander in einem unternehmerischen Kontext? Welche Rolle spielen Hierarchien und Respekt vor Vorgesetzten? Oft war es eine Geduldsprobe in bürokratischen und sozialen Systemen die sich mir erst nach und nach erschlossen haben – oder auch nie. Gleichzeitig habe ich mich dadurch auch selbst von einer neuen Seite kennengelernt. Wie gehe ich mit Situationen um? Was nehme ich gelassen hin? Was lässt mich verzweifeln?
Unsere Erfahrungen haben Sachen oft für uns als Team verständlicher und nachvollziehbarer gemacht. Schön diese Erlebnisse mit euch teilen zu können. Ich bin bewegt von vielen Gesprächen, Umarmungen und Fragen der Menschen, stolz auf das was wir in diesen Wochen erreicht haben. Gedanken die sich jetzt weiter entwickeln. Prozesse die angestoßen worden.
Ich freue mich auf das was uns in den nächsten Monaten bevorsteht und auf eure aller Unterstützung dabei.
Eure Delegation Ruanda 2015
Reisetagebuch von Einer, die das Land schon kennt und doch zum ersten Mal dort ist
25.08.201511.8.2015 - Deutschland
Ich bin noch Zuhause, es stehen letzte Besorgungen an bevor es für mich morgen losgeht. Ich freue mich und bin aufgeregt mal wieder nach Ruanda zu fliegen, in das Land das mir in den letzten Jahren zu einer zweiten Heimat geworden ist. Das so fern so anders und mir trotzdem ganz vertraut ist. Viele Freunde melden sich an, freuen sich auf meine Ankunft. Und doch wird einiges anders werden dieses Jahr.
Ich
reise nicht als
Privatperson, die Länder und Menschen besucht und
selbstständig das eine oder andere Kleinprojekt begleitet. Dieses Jahr
reise ich das erste Mal als Teil der Delegation von L'appel
Deutschland, das heißt für mich auch, offizieller hier zu sein.
Menschen nicht als Reisende sondern als Partnerin, Auftraggeberin oder
Forschende zu begegnen.
Noch bin ich aber in Deutschland, gehe
durch die Läden, Gastgeschenke, Kosmetik, Insektenschutzmittel
einkaufen. Es ist heiß, ungefähr so wird es dann in Kigali auch werden,
ein bisschen staubiger denke ich mir. Auf der Straße sind so viele
Bettler, ganze Familien stehen da und singen. Und plötzlich überkommt
mich die absolute Absurdität der Situation. Da stehe ich nun nachdem
ich eine große Tasche voller mittelmäßig relevanter bis unwichtiger
Dinge eingekauft habe um damit wenigen Menschen in Ruanda eine Freude
zu machen, während hier direkt vor meiner Haustür Menschen sitzen, die
Hunger haben, so steht es zumindest auf dem Schild. Zuhause in
Deutschland habe ich viel Kontakt zu Geflüchteten, die gekommen sind,
weil sie in ihrem Land keine Zukunftsperspektive sehen und haben. Um
Ihnen zu helfen ist es sinnvoll in diese Länder zu reisen und
die
Menschen direkt dabei zu unterstützen Zuhause eine Perspektive zu
finden und sie nicht so lange alleine zu lassen, bis sie alles was sie
haben, aus Verzweiflung hinter sich lassen, um ein Leben in Europa zu
versuchen.
Diese Gedanken bewegen mich während ich jetzt also meine Sachen packe und freue mich auf 6 Wochen in Ruanda – Zeit, die ich dafür nutze gemeinsam mit den Menschen Zukunft zu schaffen.
12.8.2015 - Ruanda
Ich bin angekommen. Pastor Emmanuel, der für mich Gastpapa und jetzt auch Projektpartner ist, hat mich heute Abend am Flughafen abgeholt und wir sind nach Hause gefahren, zu seiner Familie.
Durch Kigali fahren und all die vertraut-fremden Gerüche einatmen. Ankommen.
Die Kinder von Emmanuel freuen sich riesig mich wieder zu sehen, ich auch. Wir haben eine Zeit lang zusammen gelebt und für mich sind Sie alle Familie. Früh morgens stehen einige obligatorische Dinge an: Geldwechseln, SIM Karte besorgen, Zeitpläne mit Emmanuel besprechen damit in den folgenden Wochen alles läuft und die Zeit bestmöglich genutzt wird. Ich bin mit einem großen Rucksack voller Aufgaben und Ziele für die nächsten sechs Wochen hier in Ruanda angereist.
Ich
bin die erste der diesjährigen Ruanda Delegation, die anderen werden
Ende August nachkommen.
Bis dahin werde ich alleine hier unterwegs sein, sehen wie die
Situation in den bestehenden Projekten, insbesondere dem Health Post in
Kiruhura, ist. Neue Wege ausloten, manches vorbereiten und Euch immer
wieder auf dem Laufenden halten was so passiert.
Heute ist es jedoch zu spät um noch irgendetwas zu erledigen, nach dem
Abendessen falle ich müde ins Bett.
Ein Telefoninterview aus Sierra Leone.
24.05.2015Was treibt jemanden an, der nach Sierra Leone fliegt um dort Entwicklungshilfe zu leisten? Warum sprechen wir eher von Entwicklungszusammenarbeit? Am Anfang des Projektaufenthalts hat Jakob ein Telefoninterview mit "Radio Deutschland" geführt. Wie zuvor versprochen möchten wir Euch jetzt die Audio-Datei zur Verfügungstellen. Hört rein, hier bekommt Ihr schnell und einfach einen guten Einblick in unsere Arbeit vor Ort.
Ein tiefer Einblick in die Gesellschaft Sierra Leones.
Der
Wandel eines Landes - im Zeichen der Zeit. Zuhause
ist dort,
wo wir Liebe und Familie
finden. Es
ist sieben Uhr dreißig, als der Wecker uns aus unseren Träumen reißt.
Nichts hält mich in den Kissen, wie ich es aus Deutschland gewohnt bin
- hier spiegelt sich die große Entfernung zwischen Sierra Leone und
unserer Heimat wieder. Der Tag wartet auf uns voller Ereignisse, für
die es sich lohnt ohne weitere Verzögerung zu starten. Wir haben einen
sehr vielversprechenden Arbeitstag mit drei großen Punkten vor uns: das
am Montag beschlossene Training der WHO, zur gleichen Zeit wird Jakob
ein Interview mit "Deutschland Radio" führen und am Nachmittag treffen
wir Pastor Jose Ubaldino, der in Freetown mit der katholischen Mission
Don Bosco ein Wohnstätte für Straßenkinder betreibt. Der krönende
Abschluss unseres Tages ist besonders angenehm und wohlklingend: wir
sind auf einer Hochzeit an einem der wunderschönen, tropischen Strände
nahe Freetowns
eingeladen.
Jetzt am frühen Morgen dürfen wir uns jedoch zuerst mit einem leckeren
Frühstück mit Porridge, frischen Mangos und Ananas stärken. Wir
bemerken, dass wir trotz der großen Distanz zu Deutschland immer mehr
ein neues Zuhause hier in „Mama Salone“ finden – so nennen die Sierra
Leonies Ihre Heimat.
Vor dem Training haben wir ein kurzes Meeting mit Viviana, aber um
Punkt neun treffen wir uns mit den offiziellen der WHO. Gemeinsam mit
21 „Cleaner“, Mr. Bangura (Krankenhausdirektor und Supervisor der
Aktion) soll uns von Dr. Martina von der WHO die Details einer
Dekontamination eines „Ebola Treatment Centers“ gezeigen werden. Es
dauert
einige Minuten bis der Beamer aufgebaut ist und die perfekte Position
der Zuhörer eingenommen ist. Als es endlich losgeht stellen wir fest,
dass die Präsentation zwar vorbildlicher Weise in Krio, der
Landessprache, gehalten wird, die an die Wand geworfenen Folien jedoch
nur aus englischen Texten bestehen. Kein einziges Bild illustriert die
sachgerechte Beseitigung von kontaminierten Gegenstände, Anziehsachen
oder Toiletten. Keine Bilder über die sichere Verbrennung von Abfall.
Keine Bilder zu den konkreten Arbeitsabläufen und grundlegenden
Prinzipien des professionellen „ Decomissioning and Decontamination of
an Ebola Treatment
Center“. Was
scheinbar
von
der
WHO
vergessen wurde,
ein Großteil der Anwesenden sind Analphabeten und sprechen kein
Englisch. Nach
einer zweiten Begehung des verlassenen Geländes des
Behandlungszentrums begleiten wir Dr. Martina und Ihren Assistenten zur
Krankenhauspforte. Dort stoßen wir auf Viviana, die uns auf ein
spontanes Kennenlerntreffen mit Miriam Mason-Sessay einläd. Also ab zur
Universität von Makeni, wo Miriam auf uns wartet. Als wir ankommen
stellt sich raus, dass Sie leider noch ein zweites Treffen hat,
weswegen Sie uns nur in knappen, aber von Erfahrung strotzenden
Sätzen,
von Ihrem Lebenswerk erzählen kann. Sie gründete und leitet insgesamt
neun Internaten für Waisenkinder mit Ihrer Organisation EducAid. Wir
sind zutiefst beeindruckt von dieser kraftvollen und liebevollen Frau
und wollen die Chance nicht verstreichen lassen, Sie näher kennen zu
lernen. Wir laden Sie zu einem gemeinsamen Dinner im Magbenteh
Community Hospital am Montag ein und verlassen tief beeindruckt die
Universitätskantine. Zurück
zu Hause im Krankenhaus treffen wir auf einen schweißgebadeten,
erschöpften und dennoch mit sich sehr
zufrieden
Jakob.
Die
Netzverbindung
für sein Telefoninterview mit Radio Deutschland war im Schatten nicht
ausreichend und so musste er für 40 Minuten in der gleißenden,
erbarmungslos herunterbrennenden Mittagssonne stehen und dabei
gedankliche Hochleistung vollbringen. Im Interview ging es um unsere
Verbindung zum Land, wie wir grade an diesen Standort gekommen sind,
warum und wie wir uns engagieren, was die Quelle unserer eigenen
Motivation ist, die Ziele unserer Arbeit, wie wir von den Menschen in
Sierra Leone aufgenommen werden, den emotionalen Zustand der
Gesellschaft hier (nah am Ende der Ebola-Krise) und einiges
mehr. Schnell
Projektordner, Hemd und (Bade-)Hose eingepackt und schon
verlassen wir mit reichlich Verspätung die Klinik – auf zur Hochzeit
nach Freetown. Im vollgepackten Jeep rasen wir zu sechst gen
Hauptstast,
den wunderschön in allen Farben bemalten Autos folgend. Auf den engen
Straßen überholen wir die meisten, aufgrund Ihres jämmerlichen
Wartungszustandes und Ihrer maßlosen Überladung, langsam fahrenden
Autos in waghalsigen Manövern
sobald die Straßenbreite es zulässt. So gut wie jedes Auto in Sierra
Leone ist mit einer sinnvollen, segensbringenden oder den Status des
Fahrers anzeigenden Botschaft beschrieben. So werden wir begleitet von
„Big Boss“, „ Big Mummys“, „God bless Allah“, „Smoll Smoll“ und
unzähligen weiteren amüsanten
Slogans! Nach
stundenlanger Fahrt erreichen wir den Zubringer-Highway von
Freetown. Die Hauptstadt Sierra Leones liegt eingekesselt von einer
wunderschönen Bergkette und dem Sierra Leone River mit seiner
weitläufigen Mündungsbucht auf einer Halbinsel an der Küste des
Atlantiks. Der einzige Zugangsweg über Land ist der Highway von
Waterloo über Devils Hole nach Freetown. Außer dem Highway existiert
nur eine weitere Straße, die sich an der Küste vom Süden her der Stadt
über eine von Schlaglöchern übersäte Holperpiste annähert. Ja, nur
annähert, denn kurz vor den Toren der Stadt endet die Piste im Wasser
des River No.3: die Brücke über den Fluss ist im Krieg zerstört
worden. Von Devils Hole bis zu den Outskirts of Freetown schlängelt
sich der vierspurige Highway den Berg hinauf um dann abrupt zu einer
einspurigen Straße zu degenerieren und damit das Nadelöhr zur Stadt zu
bilden. Dementsprechend plötzlich stehen wir in dichtesten „Traffic
Jam“, umhüllt von
schubweise heranwehenden Staub- und Rußwolken, an einer Stelle kurz
bevor der tropische Regenwald den atemberaubenden Blick
hinunter auf das dicht gedrängten Moloch Freetowns frei gibt. Ab hier
gibt es für mehrere
Kilometer nur noch die Sandpiste, der seit Jahren anhaltenden
Straßenbaustelle. In
Serpentinen geht es hinab, die Ausläufer des
Bergzuges in unserem Rücken. Vorbei an den mit dicken Mauern und
Stacheldraht gesicherten Villen, der kleinen reichen Oberschicht, der
Regierungsriege des Landes und der hochbezahlten ausländischen
Angestellten multinationaler Konzerne, die das Land ihrer Bodenschätze
berauben. Hier finden sich auch alle gängigen Botschaften und
Konsulate. Am gegenüberliegenden Bergrücken erblicken wir einen grauen
gigantischen Bunker mit einer hohen, das riesige Areal umgebenden,
Mauer: die Botschaft der USA. Direkt darunter kann man durch die klare
Meeresluft die Slums dieser Millionenstadt erkennen. Dicht
zusammengedrängt stehen die kleinen Hütten um den Hafen am äußersten
Zipfel dieser landschaftlich so ambivalenten Halbinsel, die neben dem
urbanen Stadtbild auch noch karibisch anmutende Strände beheimatet. Je
näher wir dem Stadtkern kommen, desto älter werden die Häuser. Diese
geheimnisvoll und sagenumwoben aussehende Gebäude werden hier „bode
ose“ oder „krio houses“ genannt. Beim Anblick dieser Häuser fühle ich
mich wie in einer Stadt im Mississippi Delta des 19. Jahrhunderts.
Der Verkehr ist hier nicht mehr so dicht. Jedoch haben wir mit
überqueren der Grenze zur Altstadt das Revier der verrückten und
todeslustigen Motorradtaxifahrern betreten. Links und rechts quetschen
sie sich in halsbrecherischen Tempo zwischen unserem und den
entgegenkommenden Auto oder den Hauswänden
hindurch. Nach
kurzer Fahrt erreichen wir das Wohnheim Fambul (Krio für Familie)
der Don Bosco Mission. Kein Kinderheim im herkömmlichen Sinne, sondern
ein Wohnheim für Straßenkinder, die nur bis zur erfolgreichen
Reintegration in Ihre alte oder neue Pflegefamilie übergangsweise hier
wohnen können. Die ausschließlich männlichen Kinder und Jugendliche
kommen aus den ärmsten Verhältnissen der Stadt und des ganzen Landes.
Freiwillig oder gezwungenermaßen verlassen Sie Ihre Familien aus den
unterschiedlichsten Gründen. Hier in der Hauptstadt arbeiten Sie vor
allem auf dem Markt und verdienen als Träger das Geld für Ihr tägliches
Überleben. Vor Ebola-Zeiten waren die Streetworker der Mission auf den
Märkten der Stadt unterwegs mit einem extra dafür hergerichteten und
mit Spielzeug und Sportgeräten ausgestatteten Bus. Den Kindern sollte
neben Spiel- und Sportmöglichkeiten auch kulturelle Aktivitäten, wie
Improvisationstheater und Musik ermöglicht werden. Dabei konnten die
Streetworker die Kinder kennen lernen und gegebenenfalls von der
Notwendigkeit zur Schule zu gehen überzeugen. Alles mit dem Ziel das
Kind wieder in eine oder seine Familie zu reintegrieren. Der
venezuelanische Leiter des Hauses, Pastor Ubaldino, empfängt uns
herzlich an der Eingangstür und führt uns durch das große mit mehreren
Treppen, Gängen und Innenhof verschachtelte Haus. Es ist Nachmittag und
fast alle Jungen halten sich in dem großen, sonnendurchfluteten
Innenhof auf, der als Sport- und Spielfeld gestaltet wurde. Wild tobend
und schreiend erfüllen Sie das Haus mit Leben. Im fünften und obersten
Stock befinden sich die Verwaltungsräume und der Aufenthaltsraum der
Brüder der Don Bosco Mission. Von dem Balkon zur Vorderseite des Hauses
blickt man über die Stadt auf das Meer und zur Rückseite überblickt man
ein kleines Slumgebiet, das auf der anderen Straßenseite
beginnt. Bei
einem Kaffee erzählt uns der Pastor von der Arbeit mit und für die
Kinder. Insbesondere seine Schilderung der Situation während der
Ebola-Hochzeit geht unter die Haut. Er berichtet von den Zuständen der
sogenannten Interim Care Centers (ICC) zur Versorgung der Kinder, deren
Eltern an Ebola leidend in einem der Behandlungszentren verweilten. Auf
Grund der hohen Gefahr einer Infektion durch die Eltern muss für 21
Tage (Inkubationszeit von Ebola) ebenfalls unter Quarantänebedingungen
für diese Kinder gesorgt werden. Während die Zentren von Don Bosco oder
Cap Anamour aus allen Nähten platzten, stand zum Beispiel das für
Millionen von Euro errichtete Behandlungszentrum der britischen
Ebola-Hilfe in Kerrytown vollkommen leer! Es ist erschreckend und
traurig zu sehen wie auch hier die Hilfe auf Grund von Fehlverteilung,
überdimensionierten Vorsichtsmaßnahmen und mangelnder Kooperation nicht
ankamen. Versehen mit neuen wertvollen Informationen zur Waisen- und
Straßenkinderproblematik und deren Lösungsansätzen verabschieden wir
uns von Pastor Ubaldino. Der letzte Tagespunkt steht an: Die Hochzeit
am Strand von
Freetown. Auf
dem Weg zum Bureh Beach, zurück über das „Nadelöhr“ und um die
gesamte Halbinsel herum, können wir einen kurzen Blick auf das Ebola
Zentrum von Ärzte ohne Grenzen und auch auf das besagte in Kerrytown
werfen. Es beginnt schnell zu dämmern, wie es nahe des Äquators üblich
ist und als wir den Strand erreichen steht die Sonne schon am Horizont.
Es empfängt uns eine einmalige Atmosphäre: vor Ihren Fischerhütten
sitzen die Bewohner vorm Lagerfeuer um sich ihr Abendessen mit Fisch
und Reis zu kochen. Unter den dichten Bäumen erleuchtet der
geheimnisvolle Feuerschein die Szenerie. Durch die Rauchschwaden
hindurch sehen wir den von Palmen gesäumten weißen Sandstrand, dahinter
das offene Meer mit der untergehenden Sonne. Die Party hat noch nicht
begonnen, da das Brautpaar noch auf sich warten lässt. Darf ich
vorstellen: Imma aus Spanien heiratet David, einen Yogalehrer, aus
Sierra Leone. Beide gehören der Rastafari-Community an und so sorgt
eine bekannte Reggea-Band für die passende Musik, zu der die vielen
Gäste barfuß im Sand tanzen.
Endlich trifft das Brautpaar ein! Eine Frau kommt auf uns zu: „Give me
your shirt, give me your shirt!“ ruft sie verzweifelt. Ich verstehe
nicht warum Sie so dringend gerade mein Hemd braucht. Als Sie das
zweite Mal mit Nachdruck darum bittet gebe ich es Ihr. Jetzt verstehen
wir warum: zum Einzug des Brautpaares ist es Sitte der Rastafaris, dass
alle Frauen Ihren Kopf bedecken. So erlebe ich das erste Mal in meinem
Leben den Einzug eines Brautpaares mit nacktem Oberkörper. Die Party
startet früh und geht bis tief in die Nacht. Die Gäste feiern glücklich
und ausgelassen zu den Klängen Bob Marleys. Kurz bevor wir nach
ausgiebigem
Tanzen und anschließendem gemütlichen Sitzen um das großen Freudenfeuer
am Strand zu später Stunde todmüde in unser Zelt fallen, gehe ich für
einen letzten ruhigen Moment des Tages am Meeresufer
entlang. In
der
Ferne höre ich schnell näherkommend den Ruf einer großen Schar von
Zugvögeln, die entlang der Küste gen Süden fliegen. Am monderhellten
Himmel sehe ich sie in ihrer typischen Keilformation über mich
hinweggleiten. „Woher kommen sie und wohin ziehen sie? Was ist ihr
Zuhause?“ Die letzten Gedanken eines ereignisreichen und wundervollen
Tages, mit dem wir noch mehr im Schoß von „Mama Salone“ angekommen
sind! Gute
Nacht!
Euer Simon
Ein
"Krankheitsbild" der Bevölkerung armer
Länder. Das
"Abhängigkeitssyndrom" beschreibt eines der am weitesten
verbreiteten Krankheits-Syndrome
armutsbelasteter
Bevölkerungen. Das Syndrom beschreibt die Einstellung und Überzeugung,
dass eine Gruppe von Menschen Ihre Probleme nicht ohne Hilfe von außen
lösen kann. Zu den größten allgemeinen Risikofaktoren gelten das Leben
in absoluter Armut, schlechte Regierungsführung, Ausbeutung durch
Industriestaaten, aber auch ungeschickte Wohlfahrt und Wohltätigkeit
Anderer und der damit verbundene Verantwortungsentzug für das eigene
Schicksal. Die genaue Auseinandersetzung mit jeden einzelnen dieser
Faktoren würde ein Buch
füllen. Ich
wollte Euch mit dieser kleinen, „medizinischen“ Einleitung den Begriff
des "Abhängigkeitssyndroms" näher bringen. Die Parallelen zwischen
diesen Gesellschaftsphänomenen und einer
medizinischen Krankheit sind so markant, dass der Begriff des
"Dependency Syndromes" bereits bei einigen Offiziellen etabliert ist.
Auch die Menschen in Sierra Leone leiden unter diesem Syndrom. Für uns
ist die Auseinandersetzung mit dem Problemgeflecht hinter diesem
Begriff nichts Neues. So begleiten uns die vielen armutsfördernden
Faktoren täglich bei der Arbeit, sind Grund für unserer Existenz und
die Ursache, wieso wir weiter machen und das Ziel des Vereins immer im
Auge behalten müssen. Wir wollen das selbstständige Engagement der
Betroffenen fördern und somit langfristig und tiefgreifende
Veränderungen bewirken. Tiefer in das Thema einzusteigen übersteigt
aber definitiv das Format dieses Blogs und selbst jetzt habe ich schon
ein kleines schlechtes Gewissen Euch wieder mit so viel Text zu quälen.
Kommen wir also zum Punkt.
;) Der
aktuelle Grund wieso ich über diesen Begriff nachdenke ist, dass er uns
heute das erste Mal in
einem offiziell
Meeting
begegnete.
Er
wurde in einem Meeting genutzt, dass augenöffnend und inspirierend war.
Willkommen zum Blog dritten Tag unserer Reise. Heute lernten wir eine
seit fast 25 Jahren in Sierra Leone tätige und, viel wichtiger,
vollständig durch Sierra Leonies geführte Entwicklungshilfsorganisation
kennen. Der Name der Organisation lautet MADAM und Sie brachte uns den
Begriff „Dependency Syndrome“
bei. Unser
Termin war auf 9:00 Uhr festgelegt. Typisch brauchten wir für unseren
Aufbruch dann doch etwas länger und um 9:15 Uhr fuhren wir auf dem Hof
von MADAM am anderen Ende Makenis. In der fünfzehnminütigen
Zwischenzeit hatte Mohamed Conteh, der Direktor der Organisation, es
geschafft mich anzurufen und sich bei mir zu erkundigen ob wir Probleme
auf dem Weg haben - er mache sich aufgrund unserer Verspätung Sorgen.
Ein klares Statement für die Art der Arbeit bei MADAM - pünktlich,
koordiniert,
engagiert. Der
Business-Charakter dieses ersten Eindrucks verflog jedoch nach und nach
als das Gespräch nach einer formalen Eröffnung und Vorstellungsrunde
langsam flüssiger wurde und an Fahrt gewann. MADAM berichtete uns über
Ihre Programme, die langjährige Erfahrung Ihrer Arbeit und über
Erfolge, die auf dem Weg gefeiert werden konnten, sowie von den
Problemen und Hindernissen, denen man in der Arbeit in Sierra Leone
begegnet. Unsere Neugier über Hintergrundinformationen konnte ebenfalls
gestillt werden und wir erfuhren viele faszinierende Fakten zur Arbeit
der Konzerne im Land, zu Landenteignungen, zur Entwicklung der
Gemeinden, zum Bürgerkrieg. Ferner auch zu spezifischeren Themen wie
der Ebola-Stigmatisierung, der Waisensituation, berichteten Fällen von
Menschenhandel, Fehlern der NGO’s und der internationalen und
nationalen Regierungsorganisationen. Das Meeting dauerte mehrere
Stunden, letztendlich konnten wir den Fragenkatalog schließen und eine
Mittagspause
machen.
MADAM
lud uns ein, eines ihrer Projekte zu besuchen. Das war für uns
natürlich eine besondere Gelegenheit mit eigenen Augen zu sehen wie die
lokalen Menschen versuchen ihre Probleme selbst zu lösen – wie Sie dem
Abhängigkeitssyndrom selbst begegnen. Wir machten uns also mit einem
Mitarbeiter von MADAM auf nach Makali, welches 45-minütige Fahrt ins
„Hinterland“ südostlich von Makeni entfernt liegt. Die Siedlungsdichte
nahm mit jedem Kilometer ab, die Berge rückten näher an die Straße, die
Vegetation wurde dichter. Die grün flankierte Straße schlängelte sich
beinahe unrealistisch anmutend durch eine Landschaft, die noch nie von
Menschenhand berührt worden zu sein schien.
Die Natur Sierra Leones ist immer wieder beeindruckend und eine
Erwähnung
wert. In
Makali angekommen besichtigten wir eine Grundschule, die von MADAM seit
einigen Jahren erfolgreich betrieben wird. Sie begegnet einer Vielzahl
von Problemen gleichzeitig. Ich als Mediziner würde das jetzt
interdisziplinär nennen. Hier wird ein „Symptom“ durch eine
Choreographie von zusammen wirkenden Maßnahmen breitbasig und vernetzt
angegangen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für Erfolge – das
funktioniert spannenderweise in der Medizin genauso (nicht die einzige
Parallele zwischen beiden Welten!). Die Besonderheit dieser Schule
ist,
dass sie nur so genannte „Drop-Out’s“ betreut. Drop-Out’s sind Kinder,
die aus verschiedenen Gründen in der Vergangenheit die Schule vorzeitig
verlassen haben. Die häufigsten Gründe hierfür sind: Armut im
Elternhaus, weswegen Schuluniform und Schulmaterialien, sowie Gebühren
nicht mehr bezahlt werden konnten, alleinerziehende Eltern, Krankheit
in der Familie oder ökonomische Unsicherheit, die das Kind dazu zwingt
ein Einkommen für die Familie zu erwirtschaften. Alles auch Effekte,
die im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie stehen. MADAM nähert sich
diesen Kindern in den Gemeinden langsam an und integriert Sie in der
Schule wieder in das Bildungssystem, die Kosten dafür trägt das
Programm. Über die Vertrauensbasis, die sich die Sozialarbeiter von
MADAM mit dem Kindern und Jugendlichen aufbauen, können sie tief in
Ihre sozialen Strukturen und Probleme eintauchen. Sie schaffen es so
nicht nur in dem jeweiligen Kind einen Denkprozess anzustoßen, an
dessen Ende die freiwillige Entscheidung stehen soll wieder die Schule
zu besuchen, sondern auch in der Familie ein Verständnis dafür
aufzubauen. Parallel
zur Grundschulbildung, erhalten die Kinder extracurriculare
Bildungsmöglichkeiten – ähnlich einer Berufsschule. Dies ist vielleicht
der relevanteste Bonus in der Ausbildung. Denn er greift das Problem
direkt an und zeugt vom
Verständnis der
wahre
Problematik.
Vielen Drop-Outs steht durch ihr Alter der Weg an die Sekundarschule
und noch höhere Ausbildungen kaum mehr offen. Zusätzlich sind Sie ja
nicht ohne Grund Drop-Outs geworden. Eine simple Bereitstellung von
Primärbildung würde also an dem Problem selbst nichts lösen. Die
Kinder/Jugendlichen würden nach ihrem Abschluss einfach wieder in die
gleichen Armutsverhältnisse entlassen werden, könnten nicht von der
Bildung profitieren und würden wieder tageweise arbeiten und die
Familie unterstützen. Was ist dann der Wert der erfolgten Bildung?
Erst wenn man den Jugendlichen zusätzliche Kompetenzen gibt, die es
ihnen ermöglichen die alten Verhaltensweisen abzulegen und andere
Möglichkeiten zu wählen, können Sie von der Bildung profitieren.
Simple
Dinge wie eine zusätzliche Näher-Ausbildung eröffnet neue
Arbeitsmärkte, neue Kompetenzen und eine bessere Chance zur Bekämpfung
von Armut – dem Ursprünglichen Grund für das „Out-Droppen“. Man
nennt das
„capacity-building“. Für
die erfolgreiche Bekämpfung des Abhängigkeitssyndroms gibt es keine
Pauschallösung. Keine Wunderpille. Lokale und individuelle Probleme
brauchen lokale und individuelle Lösungen. Sie müssen innovativ, mutig
und passioniert verfolgt werden. MADAM hat uns an einem Beispiel
gezeigt wie so ein Lösungsansatz aussehen kann und uns damit eine Menge
frischer Gedanken mit auf den Weg
gegeben.
Auf
der Rückfahrt nach Makeni hielten wir noch am Mateh Ebola Treatment
Center an, das aktuell im „stand-by“-Modus betrieben wird. Seit wenigen
Monaten ist auch diese Einrichtung ohne positiven Ebola-Patienten und
wird von den „International Medical Corps“ aus Groß Britannien
betrieben. Wir ließen uns eine kurze Führung über das Gelände geben und
konnten mit dem dortigen IPC-Experten (Infection and prevention
control) einige Fragen zu dem noch anstehenden Abbau des ETC (Ebola
Treatment Center) am Magbenteh Community Hospital klären, von dem wir
Euch vor einigen Tagen schon berichtet haben. Zurück in Makeni war
unsere Arbeit trotz des langen, Reiseintensiven Tages noch nicht
beendet. Für den Abend hatten wir noch zwei Interviews und ein Meeting
mit Viviana
geplant.
Nick und ich (Jakob) versanken mit Viviana im Gespräch über die
Unfassbarkeiten, die einigen NGO’s hier in der Vergangenheit
widerfahren sind, über Korruption und Fälschung von Tatsachen,
Vertrauen und Ehrlichkeit und vor allem das Abhängigkeitssysdrom. Wie
soll man Projekte in einem so extrem besonderen Land wie Sierra Leone
überhaupt anpacken?
Till und Simon hatten die Chance ein Gespräch mit Mohamed Kalokoh und
Aminatu Bah zu führen, beide Mitarbeiter und Mitarbeiterin des
Pflegepersonals im Magbenteh Commuity Hospitals. Vor allem waren Beide
auch während der Ebola-Krise im Einsatz und konnten somit einen
unverfälschten Bericht der Erlebnisse im Ebola Treatment Center
abgeben. Diese bewegenden Interviews werden wir selbstverständlich
auch
für Euch aufarbeiten und in Zukunft zur Verfügung
stellen. Ich
werde diesen Blogeintrag jetzt schließen. Meine Gedanken zum
"Abhängigkeitssyndrom" kreisen jedoch weiter. Die Zeit hier in Sierra
Leone bringt mich in dem Thema "Entwicklungszusammenarbeit" weiter
voran, als alles zuvor. Es kann also sehr gut sein, dass Ihr mich an
einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit wieder von dem
"Abhängigkeitssyndrom" erzählen
hören
werdet
;) Euer
Jakob
In
der
grünen,
wilden Natur Makenis zeichnet Pastor Famundo ein Bild der
Zukunft.
Die
erste
Nacht in
unseren
neuen
Betten haben wir so tief geschlafen, dass das Gewitter fast unbemerkt
an uns vorbei zog. Die Strapazen und Eindrücke der Anreise konnten wir
in unseren Träumen umso besser verarbeiten.
Nach
dem
Frühstück
auf der
Terrasse
des Gästehauses stand bereits unser erstes Treffen für den Tag an: Eine
Begehung des ETC (Ebola Treatment Center) zusammen mit zwei Vertretern
der WHO. Zusammen besichtigen wir die gespenstig verlassene „Red Zone“,
in der sich die Ebola-Patienten aufhielten, sowie die administrativen
Bereiche und zurückgelassenen Gruben, in denen kontaminiertes Material
verbrannt wurde. Die Anlage, mit ihrer ehemaligen Kapazität von 100
Betten, die zu der Hochzeit der Epidemie vollständig ausgelastet war,
mutet jetzt merkwürdig still und zurückgelassen
an. Ziel
des
Treffens
war es vor
Allem
eine Lösung für einen kontrollierten und nach Vorgabe der WHO
zertifizierten Abbau des Zentrums zu finden. Am Ende der Begehung
werden Kontakte zwischen der WHO und SSLDF bezüglich eines Trainings
für das Reinigungspersonal des Magbenteh Community Hospitals
ausgetauscht, welches vermutlich am Freitag stattfinden soll. Anders
als vor einem Jahr sind hier inzwischen glücklicherweise Protokolle und
Verfahrensstandards aktiv, denen auch im ganzen Land gefolgt wird. Zwar
sagt uns unsere Erfahrung, dass solche Koordinationsaufgaben durch die
WHO immer erheblich länger dauern als es versprochen wird und auch
Verantwortlichkeiten unter den Beteiligten hin und her geschoben
werden, jedoch haben wir persönlich ein gutes Gefühl mit dem Ablauf der
Planungen am ETC. Wir hoffen, dass die für die Ebola-Behandlung
genutzten Gebäude zu ihrem ehemaligen Zweck zurück finden und in Kürze
wieder starten können, wie zum Beispiel die ursprüngliche
Ernährungsstation für unterernährte Kinder oder das Programm zur
kostenlosen Versorgung von unter fünfjährigen
Kindern. Während
ich
Euch all
dies
erkläre
sind wir auf unserem Marsch mit Pastor Famundo natürlich schon einiges
weiter gekommen und haben die fest getretene, rote Schotterpiste der
Freedome Road gegen noch schwierigeres Gelände getauscht und
durchqueren nun einige kleine Siedlungen. Trotz der Abgelegenheit vom
Zentrum herrscht hier reges Leben: Es wird gebaut, diskutiert, gekocht
und gegrüßt. Mehrfach kreuzen Familien, Motorräder und Frauen, die
Wassereimer mit afrikanischer Kunst auf dem Kopf balancieren, unseren
Weg. Und wenn keine Menschen in der Nähe sind fällt einem die Tierwelt
umso mehr auf: Hunde, Katzen, Hühner und Vögel beobachten jeden unserer
Schritte
genauestens. Über
Stock
und über
Stein
erreichen
wir schlussendlich nach dem durchqueren einer kleinen Ananasplantage
das Gelände von dem Pastor Famundo spricht und stehen quasi mitten im
Gestrüpp. Das Ziel dieses Marsches, der in Wirklichkeit viel kürzer
war
als es hier den Anschein erweckt, ist uns das Gelände zu zeigen, auf
dem mithilfe der SSLDF eine Grundschule mit angeschlossenen
Wohnmöglichkeiten entstehen soll. Hintergrund dieser Projektidee ist
die durch die Ebola-Epidemie in erheblichem Maße verschärfte
sozio-ökonomische Problematik der
Waisenkinder. Eine
Schule
soll
nicht nur Zukunft sichern, sondern auch ein zweites Zuhause
sein.
Pastor
Famundo ist
übrigens
eine
sehr
menschen- und naturverbundene Person, der so ziemlich jeden in Makeni
kennt. Er wird von allen respektiert und für viele wichtige Fragen
adressiert. Umso mehr freuen wir uns, dass gerade Er uns das ca. 2
Hektar große Gelände zeigt. Hier also soll die Schule entstehen! Es ist
wunderbar sich dieses Gelände als zukünftiges Schulgelände
vorzustellen, es ist wie dafür geschaffen: So nahe an Makeni und doch
so fern in der Natur. Der Plan sieht es vor die Schule eco-friendly zu
errichten: das bedeutet, dass nur die Bäume entfernt werden sollen wo
es wirklich nötig ist. Der Großteil, der ca. 40 m hoch in den Himmel
ragenden Bäume, wird den Schulkindern erhalten bleiben. Was von der
Vegetation weichen muss wird wieder aufgeforstet. Regenwassersammlung,
Solaranlagen und der Einsatz umweltfreundlicher Materialien schließen
den Kreis. Eine Anlage, die in die Landschaft passt und dort hin
gehört. Kurzerhand
entschließen wir
uns ein
Interview mit Pastor Famundo vor Ort zu drehen, welches Ihr Euch bald
anschauen könnt. Seid gespannt! Doch zuvor noch einige kurze Fakten
über das Grundstück: Das Land wurde der SSLDF von der Community of
Makeni zu einem deutlich reduzierten Preis überlassen und hat eine
Größe von etwas mehr als 2 Hektar. Es befindet sich ca. 1 km vom MCH
entfernt und ist zu Fuß in ca. 12 Min zu erreichen, was für
afrikanische Verhältnisse sehr nah ist. Derzeit gibt es zwei
Möglichkeiten, wie die Schule designt werden könnte. Architekten, die
jahrelange Erfahrung in Afrika (Wind, Wetter, Hitze, Licht) haben,
haben diese Pläne entworfen. Für welche Option sich entschieden wird
oder ob es sogar noch größere Änderungen am Konzept geben wird, ist
allerdings noch offen. Das Anforderungsprofil, die Leistungen und Ziele
des Projekts sind noch nicht abschließend geklärt. Ein intensiver
Prozess unter Einbeziehung aller Beteiligten, vor allem jener Familien
der Community, die von der Schule profitieren sollen, wird hier den
Fokus schaffen. L’appels Konzepte und Ideen findet sich hier also schon
wieder. Auf
dem
Rückweg
erzählt uns
Pastor
Famundo viel über die Gegend und ist
begeistert von dem Konzept von L’appel und die Funktion des Sprachrohrs
zu übernehmen: „You are excactly what the people of Sierra Leone need:
you ask the community for the problems they are facing here and bring
this information to the german people. L’appel is what we so call a
‚Mouthpiece‘!“. Zurück
im
MCH teilen
wir uns
nach
dem
Lunch auf. Nick und Jakob treffen sich mit Viviana und besprechen die
Grundlagen der Kooperation zwischen L’appel Deutschland und der SSLDF
im Detail, während Simon und ich (Till) uns mit Mr. Bangura, dem
Klinikmanager, treffen um offen gebliebene Fragen zu klären und
anschließend ein weiteres Interview zu drehen. Im Interview geht es um
Seine Erfahrung mit Ebola und dem ETC, Seine Einschätzung der aktuellen
Lage sowie Seinem persönlichen Appell an die „Welt da draußen“ - was Er
sich für die Zukunft
erhofft. Schnell
wird
es
dunkel und
ein
herankommendes Gewitter erleuchtet mit seinen Blitzen den Himmel in
Sekundentakt. Gleich wird es regnen! Und wenn es in Sierra Leone
regnet, dann wie aus Eimern! Wir wollen die kurze Abkühlung der Luft
also nutzen um uns schlafen zu legen und verabschieden uns damit vom
Laptop. Morgen
wird
ein
neuer
spannender Tag
für den bereits viel auf dem Plan
steht. Gute Nacht aus Makeni. Gute Nacht aus Sierra Leone. Gute Nacht
aus Afrika. Euer Till
"Together
We
can
reach O cases - together We can
keep O
cases."
Es
ist fünf
Uhr
morgens
Ortszeit.
Wir
sind grade in Sierra Leone gelandet. Fast 20 Stunden Reise liegen
hinter uns – einige Stunden mehr erwarten uns
noch. Der
Schritt
aus der
Flugzeugtür
offenbart uns ein neues Land, einigen
bereits etwas vertraut, anderen völlig neu. Tausende Kilometer von
Ruanda entfernt betreten wir als Organisation hier neuen Grund –
wahrhaftig und auch metaphorisch. Dies soll aber auch der letzte
Vergleich zu dem alt vertrauten Land im ostafrikanischen Hochland
gewesen sein, denn so unterschiedlich wie Kulturen und Geographie in
Afrika sein können, so einzigartig und besonders sind sie. Dem wollen
wir natürlich gerecht
werden. Wie
fühlt er
sich
nun an,
dieser
erste Schritt auf Sierra Leonischem
Boden? Schwül, warm, feucht. Auf dem Flughafen herrscht beinahe Stille.
Einige Flughafenarbeiter beginnen sich um das Flugzeug und das Gepäck
zu kümmern. Es wird nicht viel geredet. Alles wirkt etwas ausgestorben.
Ich erfahre, dass maximal zwei oder drei Maschinen pro Tag das Land
anfliegen – es ist eben nicht der beliebteste Fleck auf unserer
Weltkugel. Aus
Sicht
eines
Gastes
bekommt man
hier einen anderen Eindruck. Die Last der vergangenen Monate ist den
Menschen anzumerken. Das Personal ist wortkarg und ruppig, die Beamten
forsch und fordernd in ihren Fragen. Kaum jemand ist zu einem Lächeln
zu begeistern. Man sieht schwere tränensackunterlaufene Augen,
Müdigkeit und Erschöpfung im Angesicht dieser Menschen. Auch Ihr Leben
war in den letzten Monaten besonders belastet und kraftfordernd. Sie
brauchen eine Pause, Erholung, müssen Energie schöpfen um ihre
afrikanische Frohnatur wieder zu finden.
Wir verlassen das Flughafengebäude in die Dunkelheit der
unterelektrifizierten Landschaft, der Sonnenaufgang am
Horizont. Wir
freuen uns darauf nach der langen Reise von unseren Freunden der SSLDF
abgeholt und unbeschwert nach Makeni transportiert zu werden. Schnell
wird klar – noch ist niemand da. Ein Telefonat später ist und auch der
Grund bekannt. In Makeni, dem Standort des Magbenteh Community
Hospitals (unserer „Basis“), gibt es zurzeit Engpässe mit Diesel und
Benzin. Der Wagen der schon sehr früh aufgebrochen ist sei auf halber
Strecke mit leerem Tank liegen geblieben. Es dauere noch zwei Stunden
und man kümmere sich darum. So etwas ist in Sierra Leone nicht
unüblich. Es blieb also Zeit mit den Taxifahrern, Ticketverkäufern,
SIM-Karten-Händlern und sonstigen Menschen vor dem Flughafen zu reden.
Ohne, dass es groß verwundern würde kam das Gespräch natürlich zum
Hauptthema der letzten Monate: Ebola. Während das Nachbarland Liberien
die Epidemie besiegt zu haben scheint (42 Tage ohne registrierte
Neuinfektionen), sind Guinea und Sierra Leone noch immer am kämpfen.
Gestern wurden leider, nach knapp 10 Tagen ohne neue Infektion, in der
Hauptstadt Freetown erneut zwei bestätigte Fälle hospitalisiert.
So sitzen wir nun hier, im Terminal des Flughafens und holen noch etwas
Schlaf nach, denn, sobald unsere Mitfahrgelegenheit den Flughafen
erreicht und uns nach Makeni transportiert hat (4 Stunden Fahrt),
beginnt für uns ohne Unterbrechungen die
Arbeit. Unser
Wochenplan ist
dicht und wir können es kaum erwarten zu sehen was in den laufenden
Projekten geschehen ist und was wir in Zukunft hier gemeinsam erreichen
können. Der Blogeintrag ist somit für heute noch nicht beendet, aber
pausiert vorerst.
Wie haben wir als Kinder gelernt: Weiter geht es nach der Maus! (Das
ist jetzt ein guter Zeitpunkt für euch um einen Kaffee oder Tee zu
machen, nochmal zu Googlen wo Sierra Leone überhaupt noch mal liegt und
wie weit die Strecke nach Makeni ist, euch vielleicht tatsächlich die
eine Folge der Sendung mit der Maus anzugucken oder euch sonst auf
irgendeine Art eine schöne Pause zu
machen.
Unsere
Jeep-Fahrt
durch das
satt-grüne, aber an jeder Ecke von Menschenhand geprägte, Land, vorbei
an kleinen Dorfgemeinschaften und alten, sowie neuen Rohbauten, wurde
zwei Mal von aufwändigen Polizeisperren unterbrochen. Fieber messen,
ein paar Schritte laufen um sich ein Bild über unseren
Gesundheitszustand zu machen, Handschläge vermeiden. Auch Schilder an
der Straße erinnern überall daran: „Ebola is not over
yet.“. Nach
diesem
etwas
einschüchternden
ersten Eindruck war der Empfang im Magbenteh Community Hospital umso
herzlicher. Oftmals ging es dann doch sogar darüber hinaus und so
wurden Simon, Nick und Till doch von vielen als lokale Helden begrüßt.
Natürlich zauberte uns das ein Lächeln auf die Gesichter, so wurden die
Drei aber nicht müde die Menschen daran zu erinnern wer hier die wahren
Helden sind: Sie
selbst! Ha,
haben
wir euch
wieder
erwischt.
Ihr habt einen Namen gelesen und angefangen zu grübeln woher ihr diesen
kennen solltet. Aber ihr habt Glück, es ist tatsächlich ein neuer
Spieler auf dem Feld. Wir stellen vor: Viviana, Landesdirektdorin der
SSLDF in Sierra Leone, gebürtig aus Venezuela, Managerin des
Krankenhauses, eine Seele von einem Menschen und ständig auf Achse.
Was
sie hasst: „Micromanaging“ – ja sie ist so ein Typ von
Projektmanager. Hier
weiß
jemand was
er tut.
Nach unserer Tour über das Gelände des Treatment Centers war der Tag
schon recht fortgeschritten und die Hitze mächtig. So konnten wir den
restlichen Tag, Gott sei Dank, im klimatisierten Konferenzraum des
Magbenteh Community Hospitals mit dem Präsidenten der SSLDF, Herrn
Harald Pfeifer und Viviana, verbringen um über die bisherige und
kommende Zusammenarbeit zu sprechen. Neben organisatorischen Themen,
unserer Reiseplanung, Terminen und Dingen die zu organisieren sind
bekamen wir vor allem die unglaubliche Geschichte von 12 Mitarbeitern
des MCH erzählt. Sie steckten sich während der Ebola Epidemie an und
verstarben schließlich daran. Die Geschichte nimmt viele, veworrene
Umwege
und zeigt
noch
einmal
wie
eine
Verkettung
von
vielen
kleinen, individuellen Fehlern zu schwerwiegenden Folgen führen
kann. Am
Abend
waren wir
zum Essen
bei
Viviana eingeladen. Denn zeitgleich mit unserer Ankunft verabschiedeten
sich hier die Vorsitzenden aus der Zentrale der SSLDF in der Schweiz,
die ebenfalls für einen einwöchigen Aufenthalt hier waren. Gemeinsam
mit Ihnen, Dr. Tuaray (dem einzigen Arzt des Krankenhauses), zwei
Forschern der Cambridge University die an dem Ebola-Virus forschen und
eines der Labore besetzen, Harald Pfeifer und einigen anderen ließen
wir den Abend mit gutem Essen, einer Präsentation zum geplanten
Schul-Projekt, Lachen und Trinken ausklingen.
Heute
war ein heißer Tag! Die Temperaturen stiegen schon früh am Morgen auf
über 40°C an und die Sonne stand bereits hoch am Himmel als wir um 9
Uhr unser erstes Treffen mit Viviana und den „Outreach Officers“
Rebecca und Michaela hatten. Der klimatisierte Raum im Head Office des
Magbenteh Community Hospitals kam uns also sehr entgegen. Wie
versprochen hatten Rebecca und Michaela einen großen Berg an Dokumenten
mitgebracht. Rebecca selbst kommt aus Freetown, lebt aber seid ihrer
Jugend in der Magbenteh Community. Die SSLDF beauftragte sie in den
letzten drei Monaten damit, Informationen über die Lebensbedingungen
der Familien in den verschiedenen Gemeinden rund um das Krankenhaus zu
sammeln. Hierbei wurde die Familiengröße, die Anzahl der Kinder, die
Schwere der Armut und weitere Daten ermittelt, um aus diesen Daten die
bedürftigsten Familien der Umgebung zu identifizieren. An sie gehen die
Reisverteilungen und anderen Sozialprogramme des Vereins.
Rebecca brachte uns ihre Notizen und die Dokumente mit, damit wir uns
selbst ein Bild von ihrer Arbeit machen können. Wir waren begeistert
von der Art in der Bedürfnisse und Appelle aus der Gemeinschaft
wahrgenommen und berücksichtigt werden. Wir stellten viele Fragen über
die Weise in der sie die Daten gesammelt hat und waren gespannt auf
mehr. Auf die Frage, ob uns Rebecca die Gemeinden zeigen könne, schaute
sie uns nur mit großen Augen an: „You want to walk there?“ Genau das
wollten wir!
Unser
Treffen wurde kurz vor Beendigung durch den „Chief“ (entsprechend dem
Bürgermeister) der Magbenteh Community unterbrochen, der uns im Namen
seiner Gemeinde herzlich willkommen hieß. Kurzes Meet and Greet mit
Foto und schon war er wieder weg - scheinbar ein vielbeschäftigter
Mann.
Wir füllten unsere Taschen mit Wasserflaschen und machten uns bereit
für die Tour in die Gemeinden. Rebecca vorweg, sie kannte schließlich
den Weg, ging es zunächst am Highway von Makeni zur „Baptist Primary
School of Makeni“, wo man uns herzlich grüßte. Diese Schule ist derzeit
die einzige Grundschule in der Umgebung und zugleich Endpunkt des
morgendlichen Schulwegs der Grundschulkinder, die teilweise stundenlang
dorthin laufen. Die Schule war ursprünglich für 350 Kinder ausgelegt,
allerdings müssen dort derzeit etwa 900 5-12-Jährige beschult werden,
viele mehr würden zusätzlich kommen wenn es möglich wäre. Inzwischen
war es 11 Uhr und die Hitze wurde zunehmend stärker. Wir bogen
gegenüber der Schule vom Highway ab und liefen auf einer kleinen
Schotterstraße durch dichtes Grün bis wir nach etwa einer halben Stunde
die erste Gemeinde
erreichten.
Die Menschen waren sehr interessiert an uns und auch wir an ihnen.
Rebecca zeigte uns, wie sie ihre Assessments in der Community
durchführt und übersetze für uns von Timne, der Lokalsprache, auf
Englisch. Und schon ging es weiter, immer tiefer hinein in die
abgelegenen Orte der Magbenteh Community, die sich vor allem dadurch
auszuzeichnen scheinen, dass sie mehr und mehr von jeglicher
Infrastruktur der nahen Stadt abgeschnitten sind. Es gibt weder Strom
noch fließend Wasser und die Zugangsstraßen sind selbst mit Motorrädern
nicht mehr zu befahren. Doch auch hier begrüßte man uns herzlich und
hieß uns willkommen. Die Gemeinde schien sich, neben der
Landwirtschaft, vor allem über Ziegenhaltung zu finanzieren, da hier
nahezu jedes Haus Ziegen an Pfeiler angebunden hatte. Die Kinder
sprangen um uns herum und versuchten sich das Jonglieren von uns
abzugucken. Sofort sammelten sie Mangos und Limonen vom Boden auf und
versuchten es selbst, einige mit Erfolg.
Überall
wurden Palmenfrüchte in großen Blechtonnen gekocht und es dampfte aus
mehreren Ecken der umliegenden Häuser. Die haselnussgroßen roten
Früchte, die man auch direkt geerntet essen kann, sind sehr faserig und
schmecken ölig. Doch genau das ist es, wofür sie genutzt werden: Zur
Herstellung von Palmöl, das zu Seife und vielen anderen Produkten
weiter verarbeitet wird. Was hier im kleinen Stil betrieben wird,
betreiben Firmen im sehr großem: Im Norden Sierra Leones befinden sich
gigantische Palmölplantagen zur Produktion von Palmöl für den Export in
die ganze Welt. Somit sind Palmkerne und Palmöl neben Kaffee, Fisch und
mineralischen Rohstoffen eine der meist exportierten Waren des
Landes.
Inzwischen
befinden wir uns auf dem Weg in die letzte Gemeinde die Rebecca uns
vorstellen möchte. In Begleitung von circa 12 Kindern kommen wir nach
einem 20 minütigen Fußmarsch durch die Wildnis an einen Ort an dem etwa
15 Häuser stehen. Die Gemeinde empfängt uns auch hier herzlich, doch
die Armut ist nicht zu übersehen. Die Häuser haben keine Türen und
Fenster und sind aus den einfachsten Materialien gebaut. Die
Geschichten, die wir hier hören sind
herzzerreißend.
Auf dem Weg zurück nach Makeni kommen wir an weiteren kleinen Palm- und
Cassava-Plantagen vorbei. Cassavaleaf (Blatt der Maniokpflanze) ist
übrigens neben Reis und Bohnen das dritte Nationalgericht des Landes.
Frisch geerntet werden sie gekocht und anschließend für circa eine
Stunde gestampft und als Beilage zum Reis serviert. Der Geschmack ist
für uns
gewöhnungsbedürftig.
Zurück im Magbenteh Community Hospital füllten wir zunächst einmal
unsere Wasserspeicher wieder auf. Die dreistündige Wanderung war doch
anstrengender als erwartet. Aber so durstig wir auch alle waren, so
glücklich waren wir auch darüber, dass wir diese Bereicherung an
Kontakten, Eindrücken und der Natur erfahren durften.
Vom Mittagessen gestärkt bespricht Simon noch einige Dinge mit Harald
Pfeiffer, während Jakob, Nick und ich zum Polio Camp aufbrechen, das
unweit vom MCH liegt. Dieser Ort bietet Polioerkrankten Lebensraum und
Arbeitsstelle und gehört auch zu den Projekten unseres Partners, der
SSLDF. Die Menschen stellen hier Schuhe, Rollstühle und Gehstützen für
den Eigenbedarf und Verkauf her. Die von der Gesellschaft schwer
stigmatisierten Menschen haben hier einen Rückzugsort und leben in
Gemeinschaft.
Am Abend lädt uns Vivianna zum gemeinsamen Essen mit Miriam von
EducAid, zwei Laborarbeitern aus dem ETC of Makeni und Harald Pfeiffer
ein um weitere Details für die geplante Grundschule mit ihrer „Boarding
School“ zu besprechen. Miriam, eine Britin, die übrigens genau wie wir
vom Band Aid Trust Fund gefördert wurde und seit 15 Jahren mit ihrer
NGO im Bereich Bildung in Sierra Leone lebt und tätig ist, gibt uns
wichtige Informationen und inspiriert uns sehr. Als Gründerin von 9
Schulen, davon 5 „Primary-„ und 4 „Secondary Schools“, weiß sie wie der
Hase läuft und versucht sich von der alt hergebrachten und in vielen
Punkten dysfunktionalen Bildungspolitik, die die UNICEF im Land
implementiert, abzugrenzen. So spricht sie sich beispielsweise gegen
die Lehre von Folgsamkeit, für erweiternde Curricula und den
Brückenschlag zwischen armer Herkunft der Kinder und den
Lebensbedingungen an den Schulen von EducAid aus. Ihre Erfolgsquote
spricht dabei für sich und ist ein untrüglicher Indikator dafür, dass
ihre Arbeit wegweisend ist. Wir sind froh sie als Ratgeberin und
Verbündete für das Projekt mit im Boot zu haben.
Es war ein sehr produktiver Tag. Wir konnten viele schöne Fotos
schießen, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Denn frei nach dem
Motto „ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ wollen wir euch einladen
die Menschen und die Atmosphäre in den Gemeinden auch visuell
wahrzunehmen.
Euer
Till
From mines to minds
Nach einer im wahrsten Sinne des Wortes rauschenden Reggae-Party am
atemberaubend schönen Bureh-beach nahe der Hauptstadt Freetown
entschieden wir uns noch einige Stunden dort zu verbringen.
Entsprechend war heute ein verhältnismäßig entspannter Tag. Darum
wollen wir den heutigen Block nutzen, um euch ein paar
Hintergrundinformationen zu unserem neuen Projektland Sierra Leone zu
geben.
Mit
seinen rund 6 Millionen Einwohnern ist die westafrikanische
Republik zwischen Guinea und Liberia gelegen. Traurige Berühmtheit
erlangte Sierra Leone aktuell durch den verheerenden Ausbruch der
Ebolafieber-Epidemie und zuvor durch den 11 Jahre andauernden,
barbarischen Bürgerkrieg, der erst zwei Jahrzehnte zurück liegt . In
diesem Konflikt zwischen Regierungstruppen und der Rebellenarmee
Revolutionary United Front (RUF), der Schätzungen zufolge bis zu 300
000 Menschenleben forderte, spielten die üppigen Diamantenvorkommen des
Landes eine zentrale Rolle. Mithilfe dieser sogenannten Blutsteine, die
während des Krieges durch Zwangsarbeit in zahlreichen Mienen gewonnen,
außer Landes geschmuggelt und dann in Europa und den USA
gewinnbringend
verkauft wurden, konnten die jahrelangen Auseinandersetzungen
finanziert werden. Auch Gold und seltene Erden wie Koltan und Bauxit
verbergen sich in den fruchtbaren Böden des Landes.
Sierra
Leone
verfügt somit eigentlich über mehr als genug Ressourcen, um Wohlstand
für seine Einwohner zu ermöglichen. Bemessen auf Fläche, Ressourcen und
Einwohnerzahl könnte es rechnerisch sogar zu den am besten gestellten
Ländern der Welt gehören. Korrupte Machthaber und profitgierige,
multinationale Konzerne, die das Land seinen Schätzen berauben und sie
im Ausland vermarkten tragen jedoch ihren Teil dazu bei, dass Sierra
Leone de facto eines der ärmsten Länder der Welt ist. Im Human
Development Index (HDI) der Vereinten Nationen rangiert es auf Platz
183 von 187. Konkret bedeutet das, dass über 70% der Bevölkerung am
absoluten Existenzminimum von unter einem US-Dollar am Tag leben
müssen. Es drängt sich ein Zitat des globalisierungskritischen
ehemaligen UN-Sonderberichterstatters Jean Ziegler in den Sinn. Der
nämlich sagt in seinem Werk „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“
folgendes: „Es geht nicht darum, den Armen mehr zu geben, sondern
weniger wegzunehmen.“
Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei
nur etwa 45 Jahren. Vor allem Neugeborene und Kinder sind von den
Folgen der absoluten Armut betroffen: Die Säuglingssterblichkeit liegt
bei nahezu 20%, die Müttersterblichkeit bei 2%, da nur ein Drittel
aller Geburten medizinisch betreut werden können. Schätzungen zufolge
erlebt fast jedes dritte Kind seinen fünften Geburtstag nicht. Der
flächendeckende Zugang zu sauberem Trinkwasser, grundlegender Bildung,
sanitären Einrichtungen und vor allem medizinischer Versorgung fehlt
vielerorts nahezu vollständig. Über die Hälfte der Einwohner von
Sierra
Leone können weder lesen noch schreiben.
Seit
seiner „Entdeckung“ 1440
durch die Portugiesen wurde Sierra Leone nicht nur wirtschaftlich
sukzessive ausgeraubt, sondern verlor weitestgehend auch seine
ursprüngliche Kultur. Ein Blick in die Geschichte dieses vielfach
vergewaltigten und verstümmelten Landes lässt erahnen warum: Zunächst
wurden in der portugiesischen Kolonialzeit hauptsächlich durch die
späteren englischen Machthaber hunderttausende von Menschen aus
Westafrika als Sklaven in die Neue Welt verkauft. Nach Verbot des
Sklavenhandels in England 1807 wurden viele ehemalige Sklaven aus den
unterschiedlichsten Teilen und Kulturen des Kontinents nach Westafrika
zurückgebracht. Die Wahl fiel auf das Territorium der heutigen
Hauptstadt Freetown, die dadurch zu ihrem Namen kam. Es folgten
Zehntausende von Menschen aus sämtlichen Ländern der Westküste Afrikas.
Alle brachten ihre eigene Kultur mit, die meisten verloren sie unter
britischer Herrschaft und in den folgenden Kriegen jedoch vollständig
in einem Gemisch aus verschiedenen christlichen Strömungen,
Naturreligionen wie dem Voodoo, „Witchcraft“ und dem Islam, der sich
seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Sierra Leone ausbreitet und zu dem
sich heute rund 80% der Menschen bekennen. 1961 wurde die wild
zusammengewürfelte, britische Kolonie in die Freiheit entlassen und
versank zunehmend im Chaos, das von 1991-2002 im eingangs erwähnten
Bürgerkrieg gipfelte von dem es sich seither nur schleppend erholt.
Vor
allem die Bildungs- und Gesundheitssysteme können ihre Aufgaben nicht
erfüllen. Die Ebola Epidemie, die derzeit Sierra Leone und seine
Nachbarn heimsucht ist eine der Folgen davon und stürzt das Land in
eine erneute Krise.
Wir
befinden uns mittlerweile auf der Rückfahrt von
unserem sehr wohltuenden und auch projekt-technisch äußerst wertvollen
Tag am Strand, bei dem wir mit Vertretern vieler lokaler und
internationaler NGOs ins Gespräch kommen und Kontakte knüpfen konnten.
„From mines to minds“ ist im Vorbeiflug in weißer Farbe auf einem
Schulgebäude zu lesen. Dieser Appel beschäftigt uns die restliche
Rückfahrt – passt er doch nur allzu gut in die neuen Bildungsprojekte,
die wir gemeinsam mit unseren lokalen Partnerorganisationen planen.
Diese nämlich sollen junge Menschen dazu ermutigen sich Kraft ihres
Geistes aus der erlernten Hilf- und Perspektivlosigkeit zu befreien,
statt sich -plakativ gesprochen- Prostitution und unmenschlichen
Arbeitsbedingungen, wie sie in vielen Mienen herrschen, hinzugeben. Am
Abend planen die Treffen und Interviews für den nächsten Tag und fallen
dann todmüde, aber in großer Vorfreude auf das Kommende in unsere
Betten.
Euer
Nick
Mama
Salone
Mit gemischten Gefühlen verlassen wir den Schulungsraum. Man
darf gespannt sein, wie lange es wirklich dauern wird bis die Arbeiten
beendet sind und das Krankenhaus wieder mit voller Kapazität arbeiten
kann. Umso spannender ist die Frage, ob die WHO die Ihr obliegende
Zuständigkeit für die Koordinierung am Standort
tatsächlich verantwortungsvoll
übernimmt.
Das
Abhängigkeits-Syndrom
Betroffen
sind vor allem Menschen mit Einkommen von unter einem Euro am Tag und
deren Kinder, die durch das Setting in das Syndrom hinein geboren
werden. Wie bei einer genetischen Erkrankung wird das
Abhängigkeitssyndrom an die nächste Generation weiter vererbt.
Das Abhängigkeitssyndrom wird also, sowie die Armut, mit jeder
Generation schwerwiegender und intensiver. Die Prognose für die
Betroffenen des Syndroms ist schlecht und in der Regel mit einer
Verkürzung der Lebenserwartung verbunden. Es bedeutet ein Leben in
instabilen Lebensverhältnissen, hoher Kinderzahl pro Familie, Aufgabe
von Hoffnung, Perspektivlosigkeit – ein Leben von der Hand in den
Mund.
Die starke Lebensgemeinschaft und der Zusammenhalt unter den
betroffenen Menschen kann dabei nur bis zu einem gewissen, meistens
niedrigen, Schwellenwert die Symptome kompensieren. Mit Erstauftreten
der Symptome rutschen die Menschen immer mehr in die ungewollte
Abhängigkeit und das Einzelkämpfertum
ab.
Wie bei allen unseren Meetings und Besuchen hatten wir in Vorfeld der
Reise einen Fragenkatalog mit Themen und konkreten Inhalten erstellt.
Zum Einen um uns selber vorzubereiten und keine relevanten Dinge in den
langen Gesprächen zu vergessen, zum Anderen um auch unseren
Gesprächspartnern die Gelegenheit zu geben, sich auf das Meeting
vorzubereiten. So hatte auch MADAM im Vorfeld den Fragenkataloges
erhalten.Was
nun folgte war ein weiteres Statement. Nicht nur hatten Sie den
Fragenkatalog erhalten und ausgedruckt (das alleine wäre schon ein Sieg
für die Kommunikation gewesen), sondern sämtliche Fragen in digitaler,
schriftlicher Form minutiös beantwortet. Diese dann als Agenda für das
Meeting aufgereiht, sechs oder sieben Personen aus der höheren
Management-Ebene an den Tisch geholt, um die jeweiligen Fragen von den
jeweiligen thematischen Experten beantworten zu lassen und uns dann
damit herzlichst in ihrem Konferenzraum empfangen. Erster Eindruck?
Eingeschüchtert. Auf diesen Level waren wir nicht vorbereitet – wäre
ein Anzug angemessener gewesen?
Die
Natur -
ein
Greenroom
Anschließend
erwartet uns bereits
Pastor Famundo am Eingangstor des Krankenhauses. Er möchte mit uns
einen Spaziergang in das dichte Grün der Landschaft vor dem Krankenhaus
machen. Dort liegt der fruchtbare Boden und Raum für neue Projekte und
Konzepte. Wir verlassen die Hauptstraße, einen der neuen, von der EU
subventionierten „Highways“, und beginnen unsere Trip auf der von den
Anwohnern selbst ernannte „Freedom Road“. Bereits am Vortag erhielten
wir von Viviana eine kurze Einführung in die Projekteideen und
–konzepte, die die SSLDF in den kommenden Monaten und Jahren planen und
umsetzen möchte. Anders als in der Vergangenheit stehen einige dieser
Projekte nicht mehr in direktem Zusammenhang mit dem Krankenhaus,
sondern integrieren sich in die Communities (Gemeinden) im Umfeld. Das
Krankenhaus selbst ist mittlerweile in der Lage die laufenden
Betriebskosten über die Einnahmen aus der Behandlung von Patienten,
Zuschüssen des Staates und Verträgen mit einigen privaten,
internationalen Unternehmen der Region zu finanzieren. Dadurch konnte
die SSLDF ein Charity-Programm starten, das sich völlig unabhängig vom
Krankenhaus finanzieren soll und darauf abzielt die Entwicklung der
Region zu fördern. Unser zukünftiges Engagement wird im Kontext dieses
Programms seine Wirkung
zeigen.
Die
Zahl der Waisen ist durch die
Todesopfer der Ebola-Epidemie stark angestiegen. Da die Familien hier
sehr vernetzt und inkludierend leben, sind die verwaisten Kinder in der
Community unter gekommen und leben mit Familien der ferneren
Verwandtschaft, bei fremden Familien oder schlagen sich in Haushalten
mit alleinerziehenden Männern oder Frauen durch. Die Schule zeichnet
sich vor allem durch das Merkmal der Wohnmöglichkeit, die einem
Internat gleich kommen sollen, aus; einzigartig in der Region. Dadurch
soll den Familien die Möglichkeit geben werden die neue, zusätzliche
Belastung nicht mehr selbst tragen zu müssen, sondern sie mit der
Community und der SSLDF am Standort der Schule zu teilen. Die Kinder
kommen unter der Woche an ihrem Ausbildungsort unter, werden versorgt
und haben in besonderem Maß die Möglichkeit Bildung und
Persönlichkeitsentwicklung zu genießen. Am Wochenende kehren sie zu
Ihren Ziehfamilien zurück und verlieren nicht den Anschluss an die
neuen Eltern, Geschwister und den sozialen Verbund.
Die
Treffen verlaufen beide sehr
erfolgreich, dauern einige Stunden und wir sind geschafft vom langen
Tag. In der Abendsonne von Sierra Leone filmen Nick und ich für Euch
eine Begehung des ETC um Euch darin zu erläutern, wie die Ankunft
eines
Ebola-Falls ablief und wo das Personal sich eingekleidet bzw.
entkleidet hat. Es ist spannend an diesem Ort, an dem so viel passiert
ist, ein Video zu drehen. Ihr könnt Euch also auf noch mehr
Videomaterial
freuen!
Noch lange sitzen wir, Simon, Nick,
Jakob und Ich (Till), bei Kerzenschein auf der Terrasse zusammen und
besprechen das Erlebte vom Tag, sowie unsere Pläne für Morgen. Der
Strom ist ausgefallen und wir kommen langsam zur Ruhe. Es gibt viel zu
besprechen und es ist uns ein Anliegen gemeinsam im Austausch über
unsere Impressionen zu bleiben. Es ist ein Geschenk hier sein zu
dürfen!
"Ebola
is not
over!"
Aus Sicht der Mediziner-Augen ist das
was uns jetzt erwartet eine
Routine die zu begrüßen ist. Abstand halten beim Gang über das
Rollfeld, versuchen Körperkontakt zu meiden, sich Anstellen zur
Händedesinfektion am Ausgang des Flughafengeländes, Ausfüllen eines
Gesundheits-CheckUp-Bogens, ausführliche Kontrolle des Reisepasses, der
Visa, ein Gespräch über den Zweck der Einreise und das Ziels der Arbeit
vor Ort, Prüfung der Gesundheitsangaben, Interview zum Wohlbefinden und
den Aufenthalten der letzten Monate, Temperaturmessung und letztendlich
der Stempel – Einreise
genehmigt.
"Die
Kontrolle hört
nicht
am Flughafen auf, sie wird konsequent bis ins Landesinnere
fortgesetzt."
In den vergangenen Monaten waren es genau diese Straßensperren, die das
Passieren von Distrikt zu Distrikt unmöglich machten. Es gab klare
Quarantänezonen, Handelsschranken, geschlossene Grenzen, Sperrstunden
und jede weitere Art von Reglementierungen. So langsam entspannt sich
dieser Zustand wieder, Passagen sind möglich, werden aber weiterhin
kontrolliert – eine richtige
Entscheidung.
Nachdem wir unser liebevoll hergerichtetes Quartier bezogen und Sierra
Leone Neuling Jakob gebührend vorgestellt hatten, waren eigentlich alle
auf Ruhen und Erholen eingestellt, denn schließlich hatten wir grade
eine lange Reise hinter uns. Wie dann aber nicht anders zu erwarten war
hielt es uns nicht in den Räumen und wir begannen unseren Aufenthalt
mit einer Tour über das Gelände bei dem Jakob den Standort kennen
lernte. Gemeinsam konnten wir das erste Mal einen Blick auf das
riesige, seit dem 15. März geschlossene Ebola-Behandlungszentrum
werfen. Diesen Tatendrang bekamen wir dann aber auch kurzerhand von
Viviana mit einem „I knew you guys couldn’t just sit still!“ quittiert
– Recht hat
Sie!
Wichtig ist nämlich eines hervor zu heben: Im MCH gab es keine einzige
Infektion eines Angestellten durch Behandlungsfehler oder unter der
Behandlung von Patienten. Bei den 12 Betroffenen handelt es sich um
Fehler, die im privaten Leben stattfanden. Das Personal war sehr gut
geschult und hat daher nicht nur sich selbst hervorragen geschützt,
sondern vor allem dafür gesorgt, dass es in Treatment Center eine
Überlebensrate von 66% gab – deutlich über dem landesweiten
Durchschnitt.
Ein
persönlich verfasstes offenes
Ende
Radu
wird in
wenigen
Tagen
12 Jahre
alt. Radu ist ein
quirliger kleiner Junge, neugierig, fleißig, wissbegierig. Er spielt
gerne
Fußball, erprobt seine neuen Englischen Vokabeln wann immer ihm die
Gelegenheit
dazu geboten wird. Radu mag Biologie in der Schule, bei Mathe träumt er
sich
allerdings gerne auch mal weg von hier. Er würde gerne Arzt werden wenn
er mal
groß ist.
Radu
wohnt
in
Kiruhura,
Ruanda. Das
kleine Dorf zwischen
grünen Hügeln ist ruhig gelegen. Eine feste Straße gibt es nicht, dafür
Teefelder und Ackerland soweit das Auge reicht. Kiruhura bietet viel
Zeit zum
träumen – weil es nichts gibt außer den Alltag, der jeden Tag aufs neue
einfach
nur das Überleben von den Familien fordert. Radu hilft mit wo er
kann.
Zu
einer
Anstellung
als Arzt
wird es
wahrscheinlich nicht
kommen. In Ruanda ist es zwar möglich Medizin zu studieren, die Plätze
aber
sind rar, zudem teuer und verbunden mit einem unbezahlbaren Leben in
der
Hauptstadt Kigali. Die Landbevölkerung – soviel wurde im letzten
Blogeintrag
klar – wird systematisch von der akademischen Welt der Hauptstadt
ausgeschlossen. Der Weg nach Kigali ist nicht weit, man könnte ihn an
einem Tag
laufen. Der Weg in ein Leben mit geregeltem Einkommen, einer absehbaren
Zukunft
dagegen fast nicht
erreichbar.
Die
Kinder
und die
jungen
Menschen
träumen trotzdem. Jene
Menschen, die im Dorf groß werden und irgendwann realisieren, dass der
viele
Platz, die Felder, die Berge, der ungestörte Blick bis zum Horizont
auch
bedeuten, dass es schwer werden könnte dem Ganzen zu entfliehen.
Ein
Unterschied wird mir als
ehemaliger Schüler in
Deutschland und gegenwärtiger Beobachter in Ruanda deutlich: Während
die jungen
Menschen in Ruanda ihren Träumen mit Wissbegier, Fleiß und Neugier
entgegengehen, werden hierzulande Bücher zu Bestsellern, die sich
selbst
„Eltern-Ratgeber“ nennen. Sie schlüsseln z.B. auf „Warum unsere Kinder
zu
Tyrannen werden“. Ein Schulsystem das zu viel Stress erzeugt,
Bewegungsmangel
und Computersucht sind die hiesigen Probleme jener Schüler, die Bildung
nicht
mehr als Chance zu begreifen scheinen. In einem System, in dem Schule
Pflicht
ist, verschwindet die Wertschätzung für das
„Lernen-dürfen“.
Ruanda
setzt
bisweilen
hauptsächlich
auf die ersten Stufen
eines Bildungssystems. Ein Schulsystem ist vorhanden. Es gibt sogar
eine
Schulpflicht für die Kleinsten – theoretisch. In Wirklichkeit lässt
sich der
Gang zur Schule aber häufig nicht realisieren. Insbesondere die Kinder
der
Landbevölkerung sind durch ihre Mithilfe in den verarmten Großfamilien
gezwungen ebenso kurzfristig zu denken wie ihre Eltern. Der nächste Tag
ist
meist das Maximum ihres zeitlichen Horizonts. Bildung kann so bei
weitem nicht
für alle entstehen.
Diejenigen
die es schaffen der Einöde
zu entfliehen sehen
sich dann aber der nächsten Hürde gegenüber, die der Ruandische Staat
bisher
nicht alleine schafft abzutragen: Ein Studium oder eine Ausbildung,
beides
sichere Startpunkte für ein regelmäßiges Einkommen, sind schlicht nicht
finanzierbar.
Hier setzt L’appel an. Das Modell des
Umgekehrten
Generationenvertrags
ermöglicht jedem studierfähigen
jungen Menschen ein Studium. Die Stipendiaten des Programms
verpflichten sich,
den erhaltenen Förderbetrag bei Eintritt ins Berufsleben zurückzuzahlen
– nicht
an den Förderer in Deutschland sondern an den nächsten potenziellen
Studierenden.
Ein
Modell, dass sich in
naher Zukunft selbst tragen wird und möglicherweise weitere Kreise
zieht –
hinein in die Primarstufe der Bildungslandschaft. Eben dorthin, wo
Bildung für
viele bisher verborgen bleibt.
Das
Land der tausend Hügel,
seine Hauptstadt
an
tausend Hängen
gebaut. Nicht die Innenstadt hinterlässt den ersten bleibenden
Eindruck, sondern die seicht am Hügel ansteigenden Wohngebiete entlang
der quirligen Hauptverkehrsstraßen. In der Nähe hoher Bankentürme,
zwischen gut ausgebauten Straßen und zusammenhängenden Häusergruppen
liegen grobe Schotterwege und freie Flächen mit einfach gebauten
Betonhäusern. Immer wieder schaut das Fundament der Stadt zwischen
Wohngebieten und Baustellen hervor - die rote, ruandische Erde. Man
sieht förmlich, wie die Stadt mit den roten Flicken zusammen wächst und
alle staubigen Flächen langsam für sich gewinnt.
Eure L'appel Deutschland Delegation
2014